Freitag, 3. Juni 2011
Filmvorstellung Bübchen
Beim ersten Sehen fand ich die gesuchte Parallele zum italienischen Neorealismus, die Topographie der Unorte, die dieser Film mit enzyklopädischem Ehrgeiz betreibt, faszinierend. Er zeigt das Deutschland der späten 60er-Jahre als Summe von Verschnittlandschaften zwischen Stadtplanung, Ausbau der Infrastruktur und Industrialisierung. Und auch die vermeintliche kleinbürgerliche Gemütlichkeit des Einfamilienhauses wird von der Monströsität eines Kindermords heimgesucht. Nichts Heiles scheint es im Kaputten zu geben. Und doch wird auch diese scheinbare Negativsicht gebrochen durch die Schönheit der Ruine, das Pittoreske der Nebelschwaden über dem Schrottplatz und den grundsätzlichen Humor im Umgang mit den vermeintlich ernsten Figuren des Dramas. „Ich besetze die Leute immer falsch. Dadurch entsteht Welt. Denn wer ist schon, wer er sich vorstellt zu sein?“ (Roland Klick)
Es scheint ein antrainierter Reflex zu sein, nach Erklärungen zu fragen. Die heftigste Diskussion am Abend kreiste um die Frage, ob der Film nicht die Motive hätte aufdecken müssen, aus denen heraus die Hauptfigur den Mord begeht. Zum Glück tut er das nicht. Zum Glück vermeidet er die Krimikonvention der restlosen Aufklärung, die dem Zuschauer das in Deutschland so wichtige Gefühl der Sicherheit gibt, aber jeder Handlung Gewalt antut. Zum Glück überlässt Klick den Zuschauern die Lösung vieler Rätsel, an deren kunstvollem Aufbau der Film sich abarbeitet, um den mörderischen Jungen unschuldig ins Leben nach dem Film zu entlassen. Gerade durch das bildhaltige Schweigen, durch die Weigerung, den damaligen Schwerpunkten des sozialkritischen und politischen Erzählens nachzugeben, in einem Filmjahr, das so gegensätzliche Filme wie "Artisten in der Zirkuskuppel, ratlos" hervorbrachte, gewinnt der Film eine Modernität, die ihn bis heute frisch erhalten hat.
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