Dienstag, 21. April 2015

Stadt mit Haltung?





Der Film „Wem gehört die Stadt – Bürger in Bewegung“ von Anna Ditges dokumentiert ein erstaunliches Kapitel Kölner Lokalpolitik, nämlich den erfolgreichen Bürgerwiderstand gegen die ursprünglich geplante Umgestaltung des Helios-Geländes in Ehrenfeld. Auf dem Gelände steht eine historische Fabrikhalle mit einem Leuchtturm, der vielfach als Wahrzeichen Ehrenfelds gesehen wird, daneben stand bislang „gemischte Bebauung“, wie sie für viele Areale deutscher Nachkriegslandschaft lange Zeit typisch war: ein- bis zweigeschossige Barracken und Hallen, die schnell und in schlechter Bausubstanz um 1950 hochgezogen worden sind, billige Gewerbeflächen für Autoschrauber, Design-Büros, Einzelhändler und einen Independent-Club. Dazwischen offene Flächen mit dem Charme von Halden und verwilderten Gärten: Partygelände, Verschnittgrundstücke, von den neuen Ehrenfeldern als Freiraum empfunden. Durch den Ankauf des Investors Paul Bauwens-Adenauer steht all das in Frage. Gebaut werden sollte auf dem Areal eine Shopping-mall rund um die historische Halle. Die Bürger sind empört und versuchen, auf die Entscheidung Einfluss zu nehmen.

Der Titel des Films stammt aus einem Song der Kölner Band Brings, geschrieben anlässlich des Einsturzes des Kölner Stadtarchivs. Gestellt wird da zu dem in Köln heute noch traumatischen Ereignis die Frage, „wat wirklich zählt / sind et die Minschen oder is et et Jeld?“ Der Song ist ungefähr auf der Mitte des Films als Live-Event des Helios-Festes 2012 zu hören, aber anders als Brings umgeht der Film die in Köln so beliebte grob vereinfachte Gegenüberstellung des bösen Geldes und der guten Menschen. Es geht im Film auch nicht um den sprichwörtlichen Kölner Klüngel, die Umleitung öffentlicher Gelder in private Taschen. Das wäre angesichts des Geldmenschen dieses Films, Paul Bauwens-Adenauer leicht zu haben gewesen. Bereits 2012 war bekannt, dass sein Unternehmen in Köln ein für den Neubau der Fachhochschule bestimmtes Grundstück für 23 Millionen erworben und wenig später für 33 Millionen an die Stadt verkauft hatte. Im Kölner Stadtanzeiger erschien zudem ein Artikel „Stadt ohne Haltung“, in dem Bauwens-Adenauer reichlich Raum gegeben wurde, über Sünden der Stadtmöblierung zu schwadronieren, als gehöre ihm diese Stadt persönlich. Das bleibt jedoch Subtext des bösen Buben, der im On erklärt, dass „Gutmenschentum für ihn das Grässlichste überhaupt“ sei.

Anna Ditges sieht ihren Film nicht als investigatives Stück, sie „will beobachten“. So gelingt es ihr, die komplexen Verstrickungen und inneren Widersprüche der jeweiligen Parteien herauszuarbeiten, wie das anders wohl nicht möglich gewesen wäre. Der böse Bube ist zum Beispiel, wie man überrascht bemerkt, abhängig von „der Politik“ gleich welcher Partei, mit der er in Zukunft noch weiterbauen will und es trifft ihn sogar persönlich, von Leuten der Bürgerinitiative angefeindet zu werden. Die Politik, hier in Person des SPD-Bezirksbürgermeisters Josef Wirges, nimmt auf die vehementen Äußerungen der Bürger Rücksicht, die ja das Wahlvolk darstellen, auch wenn vermutlich kaum einer der Wutbürger die SPD wählt und der Investor CDU-Mann ist. Die Bürgerbewegung wiederum ist als bunter und heterogener Haufen mit einer bunten Sammlung widersprüchlicher Vorstellungen auf bündelnde „Leitideen“ angewiesen, wie sie schließlich von Seiten der Politik auch geliefert werden, nachdem klar ist, dass die Mall keine Gegenliebe findet: Auf das Grundstück soll eine Pilotschule der Inklusion. Das würde auch der böse Bube mitmachen, weil ihm egal ist, wie er mit seinen Immobilien Geld verdient.

Die Farce an diesem fast normalen Vorgang einer Meinungsfindung mit Bürgerbeteiligung führt der Film untergründiger als beispielsweise die Wiechmann-Filmen von Andreas Dresen. Sie speist sich aus den Widersprüchen der Portraits der Protagonisten, insbesondere der Bürgerbewegten selbst, einem neueren Typus Stadtbewohner. Bernd Streitberger von der CDU, Chef der Stadtentwicklungsgesellschaft „Moderne Stadt“ in Köln ruft während einer Sitzung dem Publikum zu „Wenn Sie hier von Gentrifizierung reden, Sie sind ein Teil davon!“ Ein Ruf der sich noch ans Publikum des Films wendet. Moderne Großstädte haben die besondere Spezies des links-alternativen Spät-Hipsters ausgebildet, der ob Prenzlauer Berg oder Ehrenfeld ehemalige Randzonen des Stadtgeschehens für die eigenen Wohn- und Lebensträume entdeckt hat. Diese Träume stehen der Shopping-Mall, wie sie Golfspieler Bauwens-Adenauer favorisiert, diametral gegenüber. Sie setzen auf die Wiederbelegung der Manufaktur und der vorindustriellen Nahrungsmittel, eine atmosphärische Vorstellung von Kreativität und künstlerischer Selbständigkeit, auf das Festhalten an dem, was Manufactum im Retro-Wahlspruch „Es gibt sie noch, die guten Dinge“ zusammengefasst hat. In Ehrenfelder ist die Körnerstraße zur Flaniermeile dieses neuen urbanen Stils geworden, zu dem auch gehört, sich gegen städteplanerische Konzepte zur Wehr zu setzen, jedoch ohne die geschlossene Willensbildung oder Vision, die Bürgerprotesten in den Sechzigern innewohnten. Der Bürgerprotest selbst ist inzwischen gentrifiziert: Obwohl die Protagonisten der Bürgerinitiative multikulturelle Volksnähe und Erdung betonen, treten dort weder Migranten noch Ehrenfelder unter dreißig als Sprecher in Erscheinung. Auch in Ehrenfeld haben sich in den letzten fünfzehn Jahren die Mieten verdoppelt und das multikulturell-proletarische Milieu, das viele Jahrzehnte hier zuhause war, verschwindet allmählich.

Der Film umgeht die naive Unterstützung für den bürgerlichen Protest, die Kamera bleibt auch zu Brings auf Distanz, zeigt kein falsches Idyll einer Pflasterstrandromantik und verzichtet auf Metaphern. Die nüchterne Kamera zeigt die Akteure vor allem bei der Arbeit, in öffentlichen Sitzungen oder in ihren Büros. Die Bürgerinitiative wird durchaus als nostalgischer Club mit egoistischen Motiven sichtbar. Man spürt Ablehnung gegen Veränderung all dessen, woran man sich gewöhnt hat und hilflos wirkende architektonische Planungsbegeisterung von Nichtarchitekten im Gefühl, endlich einmal mitgestalten zu können. Und auch die überraschende Wendung, dass der Vorschlag, eine Inklusionsschule auf dem Gelände zu bauen, den Widerstand mit einem Streich bricht, kommentiert die Filmemacherin nicht, sondern zeigt die Statements der in der Initiative organisierten Architektin Almut Skriver, die sowohl den Wildwuchs der Bauvorstellungen zu kanalisieren versucht, als auch als Einzige klar dem Vorschlag dieser Schule entgegenhält, der Plan widerspreche der bislang leitenden Idee von größeren kulturellen Freiflächen auf dem Areal, wenn nicht gesichert werde, dass ein zukünftiger Schulhof nach Schulschluss geöffnet bleibe oder die Schule ihren Raum beschränkt. Doch man merkt: Niemand will sich den Vorwurf machen lassen, gegen Inklusion, also pädagogisch sinnvolles Miteinander gestimmt zu haben.

Der inzwischen ausgehandelte Kompromiss liegt nun schon jenseits der Dreharbeiten: Gemeinsam haben sich Politik, Bürger und Investor tatsächlich auf den Planungsvorschlag von Ortner & Ortner einigen können, der eine Schule, eine Kulturhalle, Wohnbebauung und Freiflächen vorsieht. Die mit den „Mühen der Ebene“ offenbar besser als die Bürger vertrauten Lokalpolitiker haben also einen Kompromiss herbeigeführt und stehen auch im Film fast wie die Gewinner des Prozesses dar, obwohl Geldknappheit eines Nothaushaltes und fehlende Haltung des Entscheidungspersonals als Grund dafür sichtbar werden, dass es überhaupt zu der Auseinandersetzung gekommen ist: Die besondere Gelassenheit in Kölner Amtsstuben bleibt nicht ausgespart, Aktenordner, die achtlos aus dem Schrank des Stadtplanungsamts gezerrt zu Boden fallen, die vom Zigarettenrauch vergilbten Vorhänge im Bezirksamt Ehrenfeld, man hört formale Bedenken gegen die Verwaltungskosten von Bürgerbeteiligung. Zum Schluss witzelt der türkische Dönerbudenbesitzer nebenan, dessen Bude bleiben darf und der sich bislang immer hat dolmetschen lassen, in bestem Ehrenfeldhumor, sein neuer fünf Meter hoher Dunstabzugskamin werde neben dem Helios-Leuchtturm das neue Wahrzeichen Ehrenfelds. Herr Wirges von der SPD versteht den Witz nicht oder will ihn nicht verstehen. Die großen Verlierer bei der Einigung in Sachen Heliosgelände sind die einfachen Handwerker und die Kleinbetriebe, deren Werkstätten und Hallen im März bereits abgerissen wurden. Das ist die eigentliche Pointe des Films. Auch wer die Protagonisten des Films nicht kennt und mit Ehrenfeld nicht vertraut ist, wird diese Entwicklung, die der Film erzählt, in der eigenen Stadt wiedererkennen.