Donnerstag, 20. Februar 2014

Zwischen Welten


Der Film hat scheinbar alles richtig gemacht: Er hat einen knackigen, mehrdeutigen Titel, der durch die Recherche vor Ort eingelöst wird, die für die Schichten der afghanischen Gesellschaft klar erkennbare Stellvertreter findet. Es gibt einen gut aussehenden, wenn auch aktuell etwas inflationär zu sehenden Hauptdarsteller, der einen Soldaten mit Gewissen spielt. Die Bundeswehr fährt mit den richtigen Wagen durch den richtigen Staub, vermutlich ist auch die ganze Ausrüstung richtig, die Dienstordnung, die Abzeichen, die Flugzeuge, das Lager, selbst die Kritik an den starren militärischen Ordnungen der Bundeswehr, einer Unflexibilität, die mit dem Leben der Afghanen notwendig kollidieren muss. Die märchenhafte Fabel befolgt auch richtig und ein wenig brav die amerikanischen Erzählmuster: Die moralisch integre Tat des guten Soldaten rettet in der Figur der jungen Schwester des afghanischen Dolmetschers das moderne Afghanistan, in dem Frauen Ingenieurinnen werden können (am Anfang sieht man, wie sie an der Uni die Burka zurückschlägt und ihr Gesicht frei, gleich und schwesterlich zeigt). Die Metaphern stimmen und auch die Moral der Truppe. Der gute Soldat wird wegen seiner eigenmächtigen Tat vor einem Militärgericht verurteilt, steht aber am Schluss allein und ganz Caspar David Friedrich auf dem Kalkfelsen, der Blick des moralisch integren Helden über das Meer des Lebens.

Alles richtig im Sinne des Vorhabens. Und gerade dadurch ist ein durch und durch falscher Film entstanden, der vom ersten Moment an den Felsen der Ostseeküste bis zum letzten siehe oben nicht viel mehr ist als das, was ein Besucher der Premiere im Parkett auf den Zwischenruf „Propaganda“ brachte. Wenn Ursula von der Leyen, Frank-Walter Steinmeier oder Joachim Gauck einen Film bestellt hätten, um Werbung für militärisches Engagement der Bundeswehr im Ausland zu machen, es wäre vielleicht genau dieser Film dabei herausgekommen, der das pro und kontra nicht vernachlässigt, das einerseits andererseits, an dessen Ende man trotzdem ganz deutsch sein darf und in dessen Abspann man so viele Danksagungen an Bundeswehreinheiten und Kompagniechefs lesen konnte, wie noch nie. Der naive kompensatorische Wunsch vieler Deutschen, an einem guten Krieg teilzunehmen, bei dem es dann auch gute Soldaten gibt, geistert nicht erst seit dem Jugoslawienkrieg durch die Köpfe einer Nation, die mit der „Wiedervereinigung“ die Lizenz zum Töten glaubt, wiedererlangt zu haben.

Besonders ärgerlich ist Zwischen Welten allerdings weniger wegen des offensichtlichen Kniefalls der erzählten Geschichte vor der SPD und ihrer Rechtfertigung eines dubiosen Kolonialeinsatzes: das liegt ganz auf der Linie des gewollten „wir wollen uns auch mal einen Film vom Militär sponsoren lassen“ im amerikanischen Stil. Ärgerlich ist die Mischung aus Ideologie und technisch schlechter Kopie amerikanischer Vorbilder. Die Kampfszenen wollen Kathryn Bigelow, aber sie erreichen gehobenen Tatort. Besonders dünn ist das Drehbuch: Die Figuren sind bewusst auf Stellvertreter sozialer Gruppen mit einfacher Motivation heruntergebrochen, auf "Archetypen" wie das neuerdings immer falsch verwendet heißt. Sie bleiben großenteils blass und eindimensional – auch weil die platte Psychologisierung Löcher in Größe eines Bombenkraters in die Zeichnung reißt. Warum ist der gute Soldat wieder in Afghanistan? Weil sein Bruder Opfer einer Autobombe wurde. Punkt. Die Traumatisierung beschränkt sich auf heftige Atmung, Schweißausbrüche, Schwierigkeiten zu linientreuen Befehlen zu finden. Was er genau da wiedergutmachen oder rächen will, man erfährt es nicht. Er ist ein Guter, der den guten Afghanen und nicht den bösen Taliban gut will und darüber stolpert. Dabei gab es bereits genug beunruhigende Dokumentarfilme über traumatisierte Afghanistansoldaten. Aber so what! Und wen gibt es noch im Leben dieses deutschen Recken? Keine Frau, kein Kind, keinen Mann. Niemand. Leere, generell in dieser Figur, die leider nicht undurchsichtig und sagenumwoben wie Colonel Kurtz daherkommt, sondern Jesus-mäßig mit angeklebtem Trauma. Selbst die „Kameraden“, sonst in Kriegsfilmen das Rückzugsgebiet der Charakterzeichnung, bleiben Schemen, vielleicht, weil sie bis auf einen nicht sterben – der einzige, der als Figur erkennbar wird, bevor er sich ins grelle Licht verabschiedet. Ähnlich ergeht es den Afghanen: Der Dolmetscher und seine Schwester sind Waisen, die sich allein durchschlagen. Das erleichtert die Zeichnung, keine störenden Nebenfiguren. Aber was bewegt den Dolmetscher, der auch Kinder unterrichtet, den schwierigen und gefährlichen Job anzunehmen? Geldnot? Er weiß doch, dass er sich und seine Schwester damit gefährdet. Was auch immer: Er macht es! Und irgendwann will er sowieso auswandern – ein Fehler, für den er zwangsläufig nach der einfachen Logik des Drehbuchs am Ende den Tod findet. Und offenbar haben die Afghanen unter deutschem Einfluss auch die Gesten deutscher Soaps gelernt. So jedenfalls das übelste aller Klischees von der Hand, die sich tröstend auf eine andere legt, die sich verletzt bei der Berührung entzieht. Da ist man schon erfreut über kleine Lichtblicke wie den nächtlichen Einsatz, der durch eine Kuh ausgelöst wird, die sich im Maschendraht verfangen hat. Sie bekommt den Gnadenschuss. Die am nächsten Tag lebhaft vom Besitzer vorgetragene Forderung auf Schadenersatz führt zu einer grotesken Situation. Dank falscher Übersetzung des mit anderen Dingen beschäftigten Übersetzers klärt sich erst nicht, um was es geht, dann verweigert das Einsatzkommando die Erstattung: Es gab keine Feindberührung.

Und sonst? Die Filmemacherin bleibt dabei, „heiße Eisen“ anfassen zu wollen, Film im Dienste des Sensationsjournalismus. Doch von dem zwischenweltlichen Einsatz von etwa 100 Minuten Lebenszeit bleiben Erkenntnisse wie: Ja, die Deutschen haben als Errungenschaften Straßen in Afghanistan hinterlassen. Mal wieder. Das hat doch schon mal einer irgendwo, Autobahnen...? Nur selten wird das Land, in dem sich die Handlung abspielt, mit seinen neuen und schon wieder gesprengten Straßen in Szene gesetzt, etwa der durch eine Explosion verschobene Bahnübergang des Schlussbildes im Niemandsland. Die Kamera sucht den Schutz der „Burg“ des edlen afghanischen Warlords, der mit Karsai kooperiert, als wolle sie zeigen: Die Deutschen haben von Afghanistan eh so gut wie nichts gesehen und dabei soll es bleiben.