Montag, 30. März 2015

Was heißt hier Ende?

Das Schöne an den Kritiken Michael Althens ist, von der virtuosen Sprache abgesehen, in der hier über Film gesprochen wird, die Zielsicherheit mit der Althen in seiner Filmleidenschaft an Filmen das aufgespürt hat, was diese Leidenschaft immer wieder neu rechtfertigt. Die Feier des Moments, der Szene, des Blicks, der Geste, die einen alles vergessen lassen, das ist eine Auffassung von Kino, die der Idee des gut geplotteten Scripts nicht unbedingt widerspricht, aber dem Handwerk – und in seiner langweiligeren Version dem Reißbrett – die Trouvaille, die Überraschung und das nicht planbar Unerwartete gegenüberstellt, das vielleicht mehr dafür sorgt, dass Filme „hängen“ bleiben als jeder atemberaubende Plot. Lyrik statt Prosa. Dandytum statt Dogmatik.

Die Schwierigkeit des Epitaphs auf einen Freund ist vielleicht ein Problem, aber gleichzeitig auch eine Stärke des Films "Was heißt hier Ende?" von Dominik Graf. Der Film ist warm und dicht gerade durch diese Nähe und er hat bei mir den München-Film von Graf und Althen noch einmal in Erinnerung gerufen, der für mich ein Zufallsfund auf der Berlinale damals war, weil diese Stadt, mit der ich bislang meine Schwierigkeiten hatte, hier durch die Kombinatorik von hypnotischem Text, atmosphärischen Bildern und Architekturmodellästhetik plötzlich einen eigentümlichen Reiz bekam. Ich erinnere mich noch an einen Satz, in dem der Erzähler gesteht, sich als Jugendlicher unrettbar und erfolglos in ein Mädchen aus der Innenstadt verliebt zu haben, woraus zwar nie etwas wurde, das Modell der Verliebtheit aber gesetzt war und auch blieb.

Althen ist zwei Jahre älter als ich, „war“ muss man ja eigentlich sagen, aber im Film ist das Gegenwart. Die Beschreibung einer Münchener Vorort-Jugend zwischen Leere, Neubausiedlungen und Kino als Lebensalternative kommt mir sehr bekannt vor, auch die Wertschätzung französischer und amerikanischer Filme. Die deutsche Kinolandschaft bot Anfang der Achtziger nur Retrospektiven oder Münchener Schrecklichkeiten. An beides erinnere ich mich gut. Dagegen hat Althen von Anfang an einen Gegenentwurf gesetzt, den er schlüssiger und besser formuliert hat als viele Altersgenossen – meistens nachts. Diesen Text schreibe ich nun auch zufällig nach zehn Uhr. Und das ist gut so, weil um diese Zeit die Erinnerung an die Diskussion nach Vorführung des Films schon etwas unscharf wird, in der Dominik Graf gegen unfähige Jungschauspieler wetterte, gegen die heutigen Studenten und ihre Filmgeschichtsvergessenheit und Kino und Filmkritik generell im Niedergang begriffen sah. Eigenartig, dass dann doch das Material im Dokumentarfilm sich gegen den Filmemacher durchsetzt. Bei ihm scheint das Glas eher halb leer als halb voll zu sein. Schade eigentlich, denn auch von ihm kamen einige Bonmots, zum Beispiel über das Phänomen älterer Filmkritiker, die Filme nur noch verreißen, weil sie „zu viel gesehen“ haben und ihnen irgendwann die Träume abhanden gekommen sind. Zu hoffen ist, dass das nicht auch auf bestimmte Filmemacher zutrifft.