Freitag, 18. Januar 2008

Leben in der Vorhölle

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Leben in der Vorhölle

„Der eine stirbt, daneben der andere lebt. Das macht das Leben so tiefschön“ Mombert

Tragödie ist zwangsläufig auf den Tod bezogen. Auch wenn die Antike zahlreiche Figuren kannte, durch die der Tod überwindbar schien, Halbgötter und vergöttlichte Menschen, den Aufstieg auf den Olymp, den Aufstieg aus dem Hades: Die Sterblichen der antiken Tragödie bekamen ihre Sterblichkeit stets schmerzlich vor Augen geführt. In den seltenen Fällen tragischen Ausgangs ohne Tod hielt die poetische Gerechtigkeit grausame Widerholungsstrafen ohne absehbares Ende bereit. Blendungen, Verstümmelungen, verwunschene Verwandlungen, Adler, die an der Leber fressen, als Metapher der Sinnlosigkeit: Sysiphos, der einen Stein immer und immer wieder auf den gleichen Felsen rollen muss. Zwischen Leben und Tod gibt es noch die ewige Stagnation. Das gut gefüllte Wartezimmer der Vorhölle.

Die Renaissance des Todes als probates Ziel der dramatischen Erzählung kam parallel mit dem Niedergang der Religionen, die den Tod beharrlich nur als Moment der Transition interpretieren. Das Leben als Übergang in einen anderen, besseren Zustand. Wer glaubt, dem kann der Tod nichts anhaben. Die christlichen Dramen brauchen den Tod ihrer Helden nur, um die Schlechtigkeit der Welt zu demonstrieren, der sie entfliehen. Märtyrer sterben in gewisser Hinsicht glücklich, die Tragödie kann ihnen nichts anhaben, sie sind gerettet, nicht gerichtet. Anders, wenn das Leben nur als Ausdehnung des Nichts gedacht wird. Wenn der Tod nichtet, bleibt hinterher - nichts. Und durch das Bewusstsein der eigenen Endlichkeit kommen eben auch andere Zielvorstellungen der dramatischen Handlung in den Blick. Der Tod gewinnt als unüberbietbarer zerstörerischer Wendepunkt an Bedeutung. Je mehr Tod, desto deutlicher aber auch die Feier des Überlebens. Splatterfilme feiern die Widertaufe dessen, der mit kleinen Blessuren aus dem Blutbad hervorgeht.

Die unio mystica, die mystische Vereinigung der Liebenden im Tode. Was nach einer romantisch dramaturgischen Pointe klingt, ist eine theologische Figur, die jenseits von Romeo und Julia auf Ähnliches zielt wie die Figur der jungfräulichen Empfängnis: Sex ist schmutzig. Erhaben ist nur das reine und in seiner Reinheit unsterbliche Gefühl. Nur dadurch, dass die Liebenden gemeinsam und in Liebe vereint sterben, ist ihre Liebe selbst auf Unendlichkeit gestellt. Sie erleidet nicht den Substanzverlust durch Alltag, Beziehungsstress, Kinder. Vielleicht braucht man keinen Begriff von Gott, aber ohne den Begriff einer unsterblichen Seele ist die Idee der unsterblichen Liebe im Tode nicht haltbar. Angesichts eines Todes, der auch vor der Seele nicht Halt macht, entfällt die Grundlage. Die Liebenden sterben ohne über den Wassern schwebenden Rest. Vielleicht bleibt aus diesem Grund in neueren Tragödien romantischer Liebe immer einer der beiden am Leben, um später vom großen Gefühl zu künden, von Eros und Tanatos.

Unsterblich waren romantische Lieben immer schon nur durch ihre dramatische Fassung, die noch nach Lektüre oder Kinobesuch nachhallt. Das theologisch motivierte Sexverbot wird spätestens im Film kassiert. Der „kleine Tod,“ wie die abgedroschene französische Metapher angewandte zwischenmenschliche Erotik nennt, steht der unsterblichen Liebe nicht länger im Wege, sie gehört dazu. Das scheint historisch gesehen auch ein Verhütungserfolg zu sein: Wenn sich Erotik erfolgreich von Zeugung trennen lässt, wird Sex als reiner zweckfreier Akt erhaben und dadurch Ausdruck der romantischen Liebe selbst.

Arnold Gehlen übertrug in den Dreißigerjahren die Finalität des Todes auf die Betrachtung von Staatswesen. Man müsse die Dinge immer von ihrem Ernstfall her interpretieren. Er meinte damit den Krieg. Wer Wehrdienst verweigert hat, kennt die Argumentation: Nicht gezwungen sein, im Ernstfall die Waffe zu gebrauchen. Der Haut-goût der Betrachtungen von Gehlen bleibt auch den Filmen anhaften, die den kriegerischen Ernstfall brauchen, um eine Handlung auf die Beine zu stellen. Dass der Ernstfall erst zeigt, welcher Mensch man ist, bleibt ein Vorurteil, das nur schlechte Menschenkenntnis beweist: Wer zum Blockwart taugt, zeigt sich jederzeit. Und Filme müssen nicht den Tod hinzuziehen, um dramatisch zu sein. Der Ernstfall kann auch in einer Trennung bestehen, dem Herausfallen aus Zusammenhängen, die getragen haben. In einer Zeit, in der die meisten Menschen meines Alters noch nie eine Leiche gesehen haben, wird die Darstellung des Todes im Kino ohnehin zu einem kompensatorischen Akt. Sie füllt eine Leerstelle im Leben.

Es gibt im deutschen Kinofilm eine gewisse Häufung von Todesfällen am Anfang der Geschichte, wohl um den Helden gewaltsam ins Fahrwasser dramatischer Vorfälle zu ziehen. Lynch, Cronenberg, Haggis und Iñárritu sind die internationalen Vorbildgeber in Sachen Autounfall. Die scheinbar kontingenten Zusammenstöße im Straßenverkehr strapazieren die Metapher der Zufälligkeit der Begegnungen und des Überlebens, verstören die Helden und lassen sie an ihren Beziehungen zu den Lebenden zweifeln. Der Tod ruft ins Offene. Als hätte das Leben die Tristesse einer Umlaufbahn, aus der nur die Kollision eines Automobils heraushilft ins Eigentliche. Die Mutlosigkeit der Helden, die Neigung, unhaltbare Zustände bis zu einer äußeren Erschütterung auszuhalten, wird so durch Häufung der Darstellung zum Signum unserer Zeit. Nur die Todesnähe im ersten Akt reißt diese Hoffnungslosen noch aus der Endloswarteschleife auf Veränderung, so scheint es. Vielleicht aber ist es einfach das Entsetzen angesichts einer als gefahrlos erlebten Welt, das zum zufällig einschlagenden Tod als probatem Mittel der Exposition greifen lässt, weil alle anderen Mittel zu herbeierzählt erscheinen, die Gefahr versprechen. Beckett beschreibt das Absurde als die Störung, die uns aus dem Gewohnten schmerzhaft herausreißt. Die Bananenschale, auf der Crap in Craps Last Tape ausrutscht. Der absurde Held versucht krampfhaft, die alte Ordnung wieder herzustellen – und scheitert.

Von der Todessehnsucht der Tragödie hat sich die Komödie noch nie beeindrucken lassen. Die Helden der Komödie sind wie Comic-Figuren unsterblich. Der sich öffnende Sargdeckel ist ganz klar ein Indiz. Wer in der Komödie stirbt, stirbt niemals so ganz. Die Aversion gegen die Darstellung des Todes mag mit dem Ende des Gelächters angesichts des Ernstfalles zusammenhängen, aber auch mit einer anderen Auffassung vom Leben und seinen Bananenschalen: Gravity, Ernsthaftigkeit wird schon bei Tristram Shandy als körperlicher Defekt verspottet. Mit der Vorliebe für den Tod im Drama nimmt sich der dramatisierende Mensch einfach generell zu ernst. In der Komödie schwant ihrem Urheber meist, dass er als ein mit dem Tode Konfrontierter eine lächerliche Figur abgeben könnte. Das droht auch den Filmhelden auf Deutschlands Landstraßen.

Anfang

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In diesem Blog soll es in Zukunft um das Verhältnis von Text und Film gehen, konkreter Drehbuch und Film. Die Umsetzbarkeit von Sprache in Film steht generell in Frage. Die Kluft zwischen der bewegten Bilderwelt und der im Nachhinein so fad wirkenden Antizipation im Drehbuchtext scheint unüberwindlich und doch gibt es keine Anzeichen, dass ab sofort auf Drehbücher verzichtet würde. Ein geschlossener Text wird dabei nicht entstehen, eher eine Loseblattsammlung. Randnotizen neben dem Schreiben. Kommentare zu anderen Blogs und anderen Texten.