Montag, 25. November 2013

Man muss es nur machen

Hier ein Gedächtnisprotokoll des letzten Freitag laufenden Kinderfilmsymposiums des Filmbüros NW "Alles Wickie oder was?"


Impulsreferat Horst Peter Koll. Er legt sich ins Zeug, emotionale Ansprache, eine Suche nach Visionen, Verbündeten. Keine Berührungsängste zum kommerziell agierenden Kino, auch nicht zu Literaturverfilmungen. Ein Plädoyer für den Kinderfilm in allen seinen Spielarten, für Sensibilität gegenüber Kindern und ihren Bedürfnissen, auch für schwierige Filme wie Kopfüber von Bernd Sahling. „Nehmt die Kinder ernst.“ Koll zitiert eine anrührende Passage aus Andreas Steinhövels Berlinale-Blog. Auch in seinem Witz und seiner Emphase ist das ein Vortrag, der die Tonart vorgeben müsste für die folgende Diskussion über den Kinderfilm.

Phillip Budweg, Produzent bei Lieblingsfilm unterbreitet die Produktionsbedingungen von so unterschiedlichen Filmen wie Wintertochter und Rubinrot. Wintertochter, Erstlingspitch einer jungen Drehbuchautorin beim Goldenen Spatz. Von Anfang an klar: Kein einfacher Stoff, kein einfacher Film. Lange Entwicklung, etwa zwei Millionen Budget für eine deutsch-polnische Koproduktion. Idee eines „Generationendramas“ – was vermutlich das eigentliche Problem dieses Films ist. Die Großelterngeneration, die noch den Krieg und Vertreibung erlebt hat, stirbt allmählich weg.

Zu den zwei Millionen Budget kamen lediglich 28.000 € Marketing-Gelder. Schleppender Vertrieb und keine Wiederaufnahme im Schulkontext. 30.000 Zuschauer. Arthouse, kein family entertainment, aber deutscher Kinderfilmpreis. Mein Eindruck: Ein nicht wirklich ausgegorener Film, der zwar auf eine poetische und optisch ansprechende Filmsprache setzt, die mein Sohn Julian mit acht Jahren nicht versteht, aber auf Humor zugunsten oft stereotyper emotionaler Wendungen verzichtet und ungut zwei Geschichten verquickt – zum Nachteil beider. Dass der Film auf amerikanischen Festivals gut ankam, liegt möglicherweise daran, dass er etwas über die DDR, den Krieg, das alte Deutschland erzählt, auf ein aktuelles Thema aufgepfropft. 

Rubinrot anders gelagert. Bestseller von Kerstin Gier, anvisiert: Mütter und Töchter gleichermaßen. Tele München Concorde haben das gleich an Twylight angebunden, als Nachfolgefilm. Budget über 6 Millionen, Werbeetat 1,5 Millionen. Kombination des Hypes um den zweiten und dritten Band – die bei der Entwicklung noch nicht vorlagen – der Trilogie, mit den Effekten einer gut finanzierten Marketingcampagne erbringen trotzdem nicht mehr als 482.000 Zuschauer. Allerdings obendrauf 80.000 DVDs. Dank Senderbeteiligung RTL ist jetzt der Nachfolgefilm finanzierbar.

Bettina Brokemper: Dann war ja im Verhältnis das Marketing zu Wintertochter erfolgreicher. Erklärungsversuche, warum der „kalkulierte Filmbestseller“ keiner geworden ist: FSK 12 hätte abgeschreckt (später wird es noch heißen: FSK ist ein Anreiz, die Grenze zu überschreiten – zehnjährige sehen am liebsten Filme „ab 12“, „ab 16“). Das Problem versucht Budweg anders zu fassen. Die Zielgruppe der Mädchen über 10 sei ein „scheues Reh“. Man will sich da nicht mit Mama zusammen im Kino wiederfinden. Der DVD-Verkauf spricht dafür, dass die Leserinnen des Buches auch den Film lieber zuhause sehen. Interessant, welche Wirkung die RTL-Ausstrahlung noch haben wird. Meine Diagnose: Die weibliche Hauptfigur ist überzeugend besetzt, aber der männliche Hauptdarsteller ist nicht der Typ, der wie Leonardo di Caprio die Frauen- und Mädchenherzen schmelzen lässt. Das gibt bei einem solchen Mainstream-Stoff klar Abzüge.

Wenka von Mikulicz von Bojebuck hat Hände weg von Mississippi vorgeschlagen und dramaturgisch betreut, jetzt Bibi und Tina. Sie benutzt Formulierungen wie „moderne Oberflächlichkeit“, sie liebt die einfachen Erzählstrukturen eines Films für die ganze Familie, die Möglichkeit mit einfachen und klaren Bösewichtern zu erzählen. Andererseits arbeitet sie sich an der Atmosphäre des Arthouseanspruchs ab, die im Plenum greifbar ist. Nicht unsympathisch in dem Bemühen, die eigenen Widersprüche zu formulieren, ohne sie wegzudrücken. Buck sei mit Hände weg von Mississippi zu seinen Ursprüngen zurückgekehrt, dem Film über das Landleben in Schleswig-Holstein. Dass zwischen diesem Film und Karniggels nicht nur Jahrzehnte sondern auch stilistisch Welten liegen (unter anderem darin, dass Mississippi intern vorav sämtlichen Erfolgskontrollen unterworfen worden ist und die Verfilmung eines erfolgreichen Kinderbuchs inklusive Hörbuch ist), ist auch so ein Widerspruch: Sie mag Bucks Filme offensichtlich, ob low budget Regionalkomödie oder Kommerzkinderkino. Bibi und Tina ist nun der Versuch, nicht an ein erfolgreiches Kinderbuch, sondern an eine „Marke“, eine erfolgreiche Trickfilm- und Hörbuchserie anzuknüpfen, Mädchen, Pferde, Zauberei. Kleine Miniatur über Herrn Blatz von Kiddinx, der Buch als Regisseur gar nicht kannte. Überzeugung und Klarheit der Definition der Figuren durch die Historie ist gleichzeitig Fluch und Segen: Man kann kaum damit erzählen, weil Tina „das so nicht sagen würde“, niemals etwas Böses tun würde, überhaupt Böse nie wirklich böse sind. Wenka, selbst bekennendes ehemaliges Pferdemädchen, weiß um die Beschränktheit der Bibi und Tina-Zeichentrickfilme. Aber ist das nicht auch eine Chance? Am Ende stellt sie, ein Gestus der Selbstverteidigung, die Frage, ob Kinder sich überhaupt Arthouse-Filme ansehen.

Die Antwort kommt im nächsten Panel und sofort: sie tun es. Meike Martens berichtet von der Premiere von Ednas Tag ein Dokumentarfilm von Bernd Sahling über ein Roma-Mädchen und seine Schwierigkeiten mit der Schule und die Schwierigkeiten der Schule mit ihr. Eine Mitdarsteller, der im dunklen Kinosaal gedisst wurde, ging nach heißer Diskussion im Anschluss an den Film auf die Bühne und bekam Szenenapplaus. Allgemein: Wenn die Kinder diese Filme zu sehen bekommen, beschäftigen sie sich intensiv damit. Frage allerdings: Wann bekommen sie die zu sehen? Ähnlich gelagert: Pommes essen von Tina von Traben, ausgesprochen witzig erzählte Schwesterngeschichte im Ruhrgebiet. Wer ihn sieht, ist begeistert, aber wer hat ihn schon gesehen? Es gibt viele Filme wie diesen, die ohne Senderbeteiligung zustande gekommen sind.

Warum ist es so, dass weder die Blockbuster des „familiy entertainment“ noch die preisgekrönten Thematisierungen von Lebensweltproblemen aus Deutschland kommen, sondern aus den Niederlanden, Frankreich, Kanada, Skandinavien? Gibt es Themen, die man im Kinderfilm nicht erzählen kann? Wenka von Mikulicz ist da sicher. Diverse! Selbstmord, Mobbing. Einwand: Das sind doch genau die Themen der Publikumserfolge aus den Niederlanden. In die Diskussion schaltet sich wieder Bettina Brokemper ein: Selbstmord, Tod, Trennung, das ist doch die Lebenswirklichkeit der Kinder. Warum hat man in Deutschland so viel Angst davor? Es muss doch nicht nur Filme mit Pferden, Bibis und Tinas geben, die nicht wehtun, aber auch die Kinder weichspülen. Ingrid Prassel: Es gibt bei Kindern keine Tabuthemen, eher bei den verantwortlichen Erwachsenen. Wenka von Mikulicz hakt nach. Sie will wissen, was denn die Jugendlichen umtreibt. Antwort: Sexualität, durchaus auch Fragen wie, woher komme ich (Wintertochter), aber keine pädagogische Aufbereitung, keine Überformung mit durchgängigem Leid und Hoffnungslosigkeit. Frage in die Runde: Kann es sein, dass es weniger auf die Themen ankommt, als auf bestimmte Erzählformen, die in Deutschland nur am Rand vorkommen. Stichwort: Humor, gerne auch kindgerecht. Das wird bejaht, natürlich von Tina von Traben, die das eben kann, ernste Themen witzig erzählen. „Der besondere Kinderfilm“ wird begrüßt, aber sowohl Phillip Budweg, als auch Meike Martens haben so ihre Zweifel, ob das für die Öffentlich-Rechtlichen nicht zur Ausrede für weiteres Engagement wird. Die Diskussion muss abgebrochen werden. Die Zeit ist um.

Dave Schramm, der beim letzten Panel schon vorne im Publikum gesessen hat, stellt sich und seine Amsterdamer Firma Shooting Star vor. Eine fast kindlich unbekümmerte und unaffektierte Selbstdarstellung eines Machers und Selfmademans, wie es sie ja nicht selten unter Produzenten gibt. Seit er 15 ist, dreht er Filme, hat sie bereits während des Studiums selbst produziert. Lange Entwicklung der Stoffe, kreative Marketing-Ideen bereits beim Casting, aufwendige Castings überhaupt. 4.000 Kinder wurden für seinen bislang letzten Film Spijt gecastet, jeder durfte mitmachen und auch die Verlierer wurden via Facebook in die Werbekampagne für den Film eingebunden. Und im Vorfeld der Premiere wurden 1.500 Lehrer – und nur Lehrer – zu Vorabscreenings eingeladen. Im Zuge der Premiere wird mit den Hauptdarstellern durch die Dörfer getingelt. Und das scheint eine große Party für alle zu sein. Seine Filme hatten zuletzt um die 400.000 Kinobesucher allein in den Niederlanden. Pro Jahr werden in den Niederlanden 12 Kinofilme produziert (jeden Monat einer). Schramm steht in engem Kontakt zu den Kinobesitzern und schnürt Paketdeals direkt mit denen. Beeindruckende Bilanz aber auch beeindruckendes Arbeitspensum. Tenor: Man muss es nur machen.

Margit Albers stellt die Initiative Der besondere Kinderfilm vor. Seit der gestiegenen Aufmerksamkeit auf Kinderfilme ab etwa 2001 (Emil und die Detektive) und dem Erfolg von Wickie und die starken Männer (meist gesehener Kinofilm 2009) gibt es mehr Aufmerksamkeit auf den Kinderfilm/Familienfilm. Idee ist, eine feste Förderung von sechs Projekten hin zu zwei bis drei realisierten Filmen pro Jahr einzurichten. Angeschlossen: Akademie für Kindermedien. Erfolge: Wer küsst schon einen Leguan?, Wintertochter, Kopfüber wurde da auch entwickelt. Erfahrung: Sehr lange Finanzierungsphase, Probleme an Geld zu kommen, weil oftmals keine Senderbeteiligung und dann Probleme mit den Fördergeldern. Für erste Förderphase gab es beim Besonderen Kinderfilm 108 Einreichungen. Davon 80% „gestorbene Mütter“. Die Lektoren diagnostizieren: Viel zu viel düstere Stoffe in düsterer Erzählhaltung. Brigitta Mühlenbeck stimmt schnell in das Autorenbashing ein: Es gibt keine adäquaten Kinderstoffe. Deshalb nimmt man dann auch lieber Buchvorlagen. Da weiß man, was man hat. Sie bezweifelt, dass das Beharren auf Originalstoffen sinnvoll ist. Kurios, weil gerade ihr erfolgreichstes Modell – Shaun das Schaf – ein Originalstoff ist und dem Buchstoff Blaubär den Rang abgelaufen hat. Horst Peter Koll schaltet sich spät in die Diskussion ein, die inzwischen zu einem Schlagabtausch zwischen Albers/Mühlenbeck einerseits und Publikumsvertretern andererseits geworden ist: Er versteht die gegenseitigen Vorwürfe nicht. Es gibt jeden Tag einen Kinderfilm, man muss sich nur die Mühe machen, ihn zu sehen und bei den Kindern direkt zu bewerben. In gewisser Hinsicht zeigt diese Diskussion auch, wo wenn die Krux der deutschen Lage besteht: Es ist zu leicht, in gegenseitigen Schuldvorwürfen die eigene Verantwortung kleinzureden. Am Ende bleibt jedem eigentlich das überantwortet, was Dave Schramm auch in diesem Panel immer wieder wiederholt: Man muss es nur machen.

Samstag, 16. November 2013

Freitag, 15. November 2013

Vater, Mutter, Kind



Ab heute steht meine Erzählung "Vater, Mutter, Kind" als eine der sechs ersten "Singles" bei Amazon.de. Das Konzept ist einfach: kürzere Prosatexte, vergleichbar einer musikalischen Single, sollen einfach und für kleinen Preis zugänglich sein, in einer Zeit, in der eigentlich nur noch Literaturmagazine Erzählungen drucken. Wer weder Kindle noch iPad hat, kann sich kostenfrei Programme herunterladen, mit denen die Texte auch auf dem Rechner lesbar sind.

Ankündigungstext:
"Eine scheinbar perfekte Kleinfamilie. Doch den jungen Vater hat die Geburt des Kindes völlig aus der Bahn geworfen. Die Promotion will nicht fertig werden und Geld zu verdienen kann er sich auch nicht vorstellen. Gerade hat er sich damit arrangiert, das Kind zu versorgen, während seine Frau die Familie ernährt, da wartet die nächste böse Überraschung auf ihn. Sie will sich von ihm trennen. Er verliert dabei alles, an dem er sich festgehalten hat, auch das Kind. Warum soll man da noch weiterleben? Das Bedürfnis, sich zu rächen und einmal im Leben etwas zu Ende zu führen, bringt ihn auf eine furchtbare Idee."

In nächster Zeit werden weitere Texte folgen. Wer nicht benachrichtigt werden will, bitte kurz zurückmelden. Gerne auch weiterleiten.

www.amazon.de/Vater-Mutter-Kind-Kindle-Single-ebook/dp/B00GFMMTDS

Montag, 14. Oktober 2013

Ein Festival feiert sich selbst

Es gibt Festivals, deren Rahmen ist klar vorgegeben, die Ausrichtung der präsentierten Filme ist deckungsgleich mit den daraufhin vergebenen Preisen, eine Stellungnahme innerhalb der Branche. Es gibt Festivals, bei denen man sich noch nach der Abschlussveranstaltung fragt, woran man eigentlich teilgenommen hat. Die Cologne Conferences waren mal eine Art Leistungsshow der Fernsehserienproduktion. Man konnte erste Folgen neuer Serien, zum Beispiel von HBO sehen, die erst später im Fernsehen liefen, konnte sich einrichten auf "Trends", denen die Veranstaltung in erster Linie ja gewidmet sein soll. Inzwischen ist zu diesen Veranstaltungen, die im Abschlussgeschehen und der Preisvergabe keinerlei Rolle mehr spielen, ein bunter Cocktail aus Panels zur Zukunft des Fernsehens und internationalen Erfrischungsdarbietungen dazugetreten. Ein wenig Kino, ein wenig Pop-Kultur, zwei Zeitschriften vergeben einen Preis und nur einer, der des Hollywood Reporter,  ausgerechnet an Sibel Kekili, die nicht an einer neuen, aber immerhin an einer internationalen Serie mitwirkt, spiegelte das wieder, was Substanz und Inhalt der CC war und sein könnte: Eine Bühne für das Seriengeschäft zu sein. Daneben aber gab es Auszeichnungen, die niemandem wehtun, aber auch niemanden meinen, die keine Linie erkennen lassen und kein bisschen Mut zum Risiko. Ich kann mich insofern nicht beschweren, als der erste "actors award" an Isabelle Huppert vergeben wurde und ich deshalb die Gelegenheit hatte, sie zu interviewen. Aber auch das hatte so seinen Haken: Alle Preisnamen sind auf Englisch, überhaupt ist alles auf Englisch und am Ende wurde sogar das Interview auf Englisch geführt, weil das Geld für einen Dolmetscher nicht vorgesehen war und das Publikum Englisch erwartete. Was aber hatte diese englische Veranstaltung mit Köln zu tun, was Isabelle Huppert? Sie wurde mit einer Laudatio bedacht, die vieles offen ließ, auch, was Anlass, Preis und Trägerin miteinander zu tun haben. Es wurde überhaupt nicht klar, warum diese Veranstaltung, die den Stadtnamen auf englisch im Wappen trägt, in Köln stattfindet, außer dem einen Grund, dass Köln sich gerne selbst feiert und der Filmstiftung deshalb die beste Bühne für ihre "Gala" abgibt. So jedenfalls war die Veranstaltung angekündigt, auf der man anschließend mit alten Freunden Bier trinken konnte. Die internationalen Gäste waren da längst zu einem separaten Abendessen entschwunden, wie es sich gehört.


Donnerstag, 18. Juli 2013

Curb your enthusiasm

Den Humorgrad bestimmt schon der Titel: Die Hauptfigur Larry David, gespielt von Larry David, eckt an und macht sich lächerlich, wo das nur möglich ist. Die dramatische Krise ist stets eine des größtmöglichen Fettnapfs. Der wird über das Prinzip der einfachen inversen oder variierenden Wiederholung einer Situation generiert.

Ein Beispiel: Larry David hat mit seiner „Erfolgsformel“ einen Kellner bestochen und so schneller einen Platz im Restaurant zu bekommen. Der Grund dieses Bestechungsversuchs: Seine Frau leidet an Dermatitis und am liebsten hätte sie schon vor dem Essen ein entsprechendes Medikament aufgetragen. Larry hat aber vergessen das Rezept einzulösen. Der Bestechungsversuch hat also eigentlich seinen Grund in einer Vergesslichkeit bezüglich des Rezepts – klassischer komischer Konflikt. Bei der Bestechung selbst schiebt Larry versehentlich dem Kellner nicht den zusammengefalteten 20-Dollar-Geldschein, sondern das Rezept für das Dermatitis-Präparat seiner Frau über den Tresen. Die Verwechslung, ebenfalls ein klassisches Komödienelement, fällt ihm auf, als er im Drugstore das Rezept nicht mehr findet. Im Restaurant hat der Kellner das Rezept nach Dienstschluss wütend in den Müll geschmissen, weil er nicht an Verwechslung glaubt, sondern annimmt, Larry hätte ihn absichtlich reingelegt. Nun kann sich Larry in diesem Restaurant nicht mehr blicken lassen – und das Medikament hat er auch nicht. Das Ende der Episode verschränkt Rezeptabholung und Bestechung in einer doppelten Wiederholung: Es ist auf Umwegen gelungen, ein zweites Rezept zu bekommen. Als Larry David damit spät abends erneut im Drugstore auftaucht und gebeten wird, eine Dreiviertelstunde zu warten – weil eine Schlange von Patienten vor ihm dran ist – versucht er es erneut mit seiner erst erfolgreichen Bestechungsformel und wird wegen des Versuchs allein aus dem Drugstore geworfen. Als Larry am Schluss der Folge niedergeschlagen die Treppe zum Schlafzimmer hinaufschlurft, hört man nur noch, wie seine Frau sich verzweifelt kratzt...

Auch der zweite Strang der Folge arbeitet mit einer ähnlichen Dramaturgie: Larry beleidigt den afroamerikanischen Hautarzt seines Freundes mit einem flapsigen und latent rassistischen Witz. Als er mit seiner Frau aus dem oben genannten Restaurant in ein anderes flieht, weil er seinen Ex-Chef nicht ansprechen will, der drei Tische weiter sitzt, begegnet er einer afroamerikanischen Aufnahmeleiterin, die ihm vorwirft, dass er sie vor Jahren aus rassistischen Gründen nicht eingestellt hat. Als das Rezept verloren geht, sieht sich Larry gezwungen den afroamerikanischen Hautarzt aufzusuchen, bei dem zuhause eine politische Versammlung stattfindet – bei der auch die Aufnahmeleiterin auftaucht und ihrer frischen Wut freien Lauf lässt, weshalb hier das Ersatzrezept dann doch nicht ausgestellt wird, sondern bei einem anderen Hautarzt. Kleiner Scherz am Schluss: Als Larry den Apotheker zu bestechen versucht, drängelt er sich ausgerechnet vor einen afroamerikanischen Patienten.

Das beim Zuschauer anvisierte Gelächter über den unbelehrbar rassistischen und egozentrischen Larry David, der zu Recht für mangelndes soziales Fingerspitzengefühl abgestraft wird, stellt sich erst durch die Wiederholung politisch unkorrekter Verhaltensweisen ein: Unbelehrbar zeigt sich erst, wer mindestens in einer zweiten Situation nicht adäquat reagiert. Die Minimalpaarbildung von je zwei Szenen mit vergleichbarem Verhalten und inversen Reaktionen oder der Koppelung von drei Szenen, deren dritte die Reaktionen der erste beiden in einen Zusammenstoß führt, sorgt für eine gewisse Erwartungshaltung der sich potenzierenden Katastrophe in der Wiederholung. Man ahnt sofort: Die Bestechung funktioniert bestenfalls einmal und auch da schon spürt die Hauptfigur das offenbar so stark, dass sie nach Erfolg unter einem Vorwand in ein anderes Restaurant flieht. Der zweite Versuch der Bestechung erfolgt anlässlich eines scheinbar wesentlich harmloseren Anlasses, der nächtlichen Medikament-Abholung. Dass die scheitert, ist die in der Mechanik dieses Humors logische Pointe der Folge.

Ein weiterer Mechanismus taucht immer wieder auf: Larrys egoistischen Interventionen richten sich in der Szenenwiederholung gegen ihn selbst. Larry besteht beim Arzt darauf, vor der Patientin behandelt zu werden, der er in der Praxis den Vortritt gelassen hat: Sein Termin war früher. Die Sprechstundenhilfe erklärt, das spiele nur bedingt eine Rolle, wer früher am Schalter ist, ist früher dran. Als Larry sich beim zweiten Wettlauf mit der gleichen Patientin vordrängelt, wird er wieder später behandelt: Man hat auf seine Forderung hin die Regel geändert, die Patientin hat einen früheren Termin als er. Da nützt es natürlich wenig, dass sich Larry beschwert, dass eine Patientin nun vor ihm dran ist, die offensichtlich zu spät zu ihrem Termin gekommen ist. Aber auch hier funktioniert die Pointe über eine schlichte Wiederholung. Während viele erzählten Witze und Märchenwendungen eine dreifache Staffelung brauchen, um in der ersten Wiederholung das Setting zu befestigen und in der zweiten Wiederholung erst eine Wendung zu erzählen und absurde Komik die Wiederholung des Scheiterns ins Endlose verlängert, reicht der realistischen Komik einer solchen Serie eine einzige Wiederholung zur Darstellung der chronischen Unbelehrbarkeit, zur Dämpfung des Enthusiasmus. Wiederholung ist hier zwar das Grundprinzip, wird aber möglichst unauffällig eingesetzt und möglichst nicht überstrapaziert.

Komik braucht Wiederholung. Wenn sie ein Reibungseffekt ist, muss sich etwas an etwas bereits Etabliertem reiben. Das kann der Widerspruch zu einem früheren Verhalten sein, eine unerwartete Reaktion. Jede unerwartete Reaktion setzt jedoch Erwartung voraus, die wiederum erst einmal hergestellt werden muss. Bei Larry David wird diese Erwartung unterschwellig und grundsätzlich in einer konfliktlastigen ersten Situation hergestellt, in der sich Larry bereits "unangemessen" verhält. Man rechnet mit dem dort etablierten Verhaltensmuster, was dann bestätigt oder enttäuscht werden kann.

Lebenslügen

Biopics, die Verfilmung der Biografie von Persönlichkeiten, gelten als sichere Bank in der Filmindustrie. Offiziell suchen Hollywood-Agenten nach Stoffen für Lebensbebilderung, weil das Erfolg verspricht. Ob autistischer Mathematiker, britischer König, Musiker, Autor oder Premierministerin, das Muster ist ähnlich. Besonders beliebt sind die Verfilmungen der Biografien von Literaten, Brecht, Thomas Mann, Virginia Woolf. Das fiktionale Biopic hält sich krampfhaft an die Maxime, dass hinter jedem besonderen Buch auch ein besonderer Mensch stecken muss. Die Identität von Kunst und Leben.

Besonders ärgerlich wird die Beleuchtung des Menschlichen, wenn Margaret Thatchers Liebes- und Beziehungsleben sowohl über die Darstellung einer selbstbestimmten Frau als auch über die Darstellung einer mit äußerster sozialer Brutalität entscheidenden Politikerin triumphiert. Zwar lässt sich dieser angestrebte Kuschelfaktor erst auf der Zeitebene grenzdementen Greisin erzielen, aber allein die dahinter erkennbare Absicht, Politik auf persönliche Befindlichkeiten herunterzubrechen und noch für die härtesten Einschnitte im britischen Sozialwesen, für den gnadenlosesten Wirtschaftsliberalismus eine menschelnde Erklärung zu finden, die Mitgefühl verlangt, zeigt, wohin das Biopic steuert: Hier werden zu beliebigen Figuren der Weltgeschichte Sockel gekleistert. Was in meiner Jugend Bücher leisteten, die über die Entdeckung des Tuberkel-Bazillus als persönliche Glanztat eines Einzelnen raunten, ist aufs Filmgenre übergegangen, das sich eh meist um Einzelgeschichten bemüht. Doch in jedem Episodenfilm, der auf dem Globus verteilte Ereignisse ursächlich zusammenzudenken versucht, steckt mehr geschichtliche Wahrheit und politische Kompetenz, als im gesamten Genre des Biopics, das prinzipiell die Leistung des Kollektivs nicht kennt und das Politische aufs rein Persönliche verdünnt.

Montag, 24. Juni 2013

Revolver Heft 28

Das neue Revolver-Heft ist da! Darin Interviews mit Lodge Kerrigan, Nadav Lapid, Roberto Perpignani, eine Glosse von Katrin Eissing und Manifeste von Lucrecia Martel, Matias Piñeiro, El Pampero Cine und James Benning.

Dienstag, 4. Juni 2013

Haneke über Haneke


Wie haben Sie das gemacht, Herr Haneke?


Angelehnt an den großen Klassiker Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? von François Truffaut haben die Filmkritiker Michel Cieutat und Philippe Rouyer den Regisseur Michael Haneke über einen längeren Zeitraum ausführlich interviewt und Gespräche zu jedem einzelnen seiner Filme geführt – angefangen von seinem ersten Fernsehspiel Und was kommt danach? (1974) bis hin zu Amour, für den Haneke im Mai 2012 die Goldene Palme gewann. Film für Film erteil der Regisseur Auskunft zu seiner Arbeitsweise und zentralen Werkintentionen seines Schaffens.

Das Buch ermöglicht dem Leser aus der Perspektive des Filmemachers selbst einen unmittelbaren Zugang zu seinem Gesamtwerk.


Haneke, Michael
Cieutat, Michel
Rouyer, Philippe
HANEKE über HANEKE
(Haneke par Haneke, Edition Stock 2012)
Aus dem Französischen von Marcus Seibert
416 Seiten, Abb. 124
Alexander Verlag, Berlin/Köln 2013
Fadenheftung, gebunden
ISBN 978-3-89581-297-2
38,00 €
http://www.alexander-verlag.com/programm/titel/303-HANEKE_ueber_HANEKE.html

Donnerstag, 2. Mai 2013

Werkstattgespräch mit François Ozon

François Ozon

Marcus Seibert: Wie machen Sie das, jedes Jahr einen Film zu drehen?

François Ozon: Ich liebe meine Arbeit, folge also vor allem meinem Vergnügen, wenn ich drehe. Es gibt eine Reihe Filmemacher, die leiden beim Drehen. Ich gehöre nicht dazu. Außerdem habe ich zum Glück nie Probleme gehabt, mich von Themen inspirieren zu lassen. Die findet man überall, muss man nur die Augen offen haben und sich umsehen. Das Problem besteht eher darin, einschätzen zu können, was sich umzusetzen lohnt. Aber wenn ich mehr Zeit hätte, könnte ich zwei oder drei Filme im Jahr drehen, wie Fassbinder. Nur leider muss ich ja zwischendurch, wie jetzt für „Dans la maison” („In ihrem Haus”), auch auf Werbetour gehen.

MS: Sie haben Fassbinder erwähnt und beziehen sich oft auf diesen deutschen Filmemacher. Wie kommt dieser Bezug zustande?

FO: Ich konnte mich als Student nie auf eine Art Kino festlegen und fühlte mich von sehr verschiedenen Filmen angezogen. Zwischen all den anderen Studenten, die genau wussten, was sie später machen wollten, habe ich mich mit meinen gegensätzlichen Vorlieben verloren gefühlt. Fassbinders Filme haben mich bestätigt und von dem Druck befreit, mich entscheiden zu müssen. Da war jemand, der völlig frei von Zwängen auftrat, vor nichts Angst hatte und Genres mischte, wie es ihm gefiel. In seinem Werk findet man Sozialdramen, Komödien, Melodramen und immer wieder extrem stilisierte, theatralische Filme. Mich hat diese Vielfalt begeistert, die unerschöpfliche Energie, die Arbeit in einer Art Schauspielerfamilie.

MS: Sie haben eines seiner Theaterstücke adaptiert, „Tropfen auf heiße Steine”.

FO: Ja. Er war siebzehn, als er das geschrieben hat. Mich hat die Reife des Stücks begeistert, diese Hellsichtigkeit, was Paare und Liebesbeziehungen anbelangt. Eigentlich wollte ich das Stück ja gar nicht verfilmen. Ich war gerade selbst dabei, einen Stoff über ein Paar zu schreiben, eine Liebesgeschichte. Aber dann habe ich „Tropfen auf heiße Steine” im Theater gesehen. Das war genau das, was ich schreiben wollte. Da habe ich dann lieber gleich das Stück adaptiert.

MS: Durch die Übersetzung haben Sie dem Fassbinder-Text zu einer Leichtigkeit verholfen, die seine Diktion auf Deutsch nicht hat.

FO: Auf Französisch klingt das immer noch ziemlich künstlich. Aber das war mir egal. Ich mochte dieses Stück. Ich mag es immer noch. Was übrigens diese Künstlichkeit von Übersetzungen anbelangt, so spürt man die auch in Filmen wie „Amour” von Michael Haneke zum Beispiel.

MS: Das Drehbuch wurde von einem französischen Drehbuchautor übersetzt.

FO: Klingt aber eben übersetzt, auch im Stil, wie sich die Figuren äußern.

MS: Sie haben seit dem Fassbinder-Film eine Menge Theaterstücke verfilmt. Theater ist ja für viele eher der Feind des Kinos.

FO: Für mich war das noch nie so. Ich liebe das Theatralische im Film. Viele Regisseure wollen das im Film möglichst zurückdrängen, aufgrund der Kinotradition, die sich vom Theater erst mal absetzen musste. Mir macht das keine Angst. Vielleicht ist das meine Brecht’sche Seite. Ich liebe
Verfremdungseffekte und finde es immer wichtig, dass der Zuschauer nicht vergisst, dass er einen Film sieht. Ich mag diese reflexiven Moment und einen gewissen Abstand in der Erzählweise.

MS: Es ist also für Sie bereits eine Verfremdung, aus einem Theaterstück einen Film zu machen.

FO: Nicht unbedingt. Das hängt von der Adaption ab. Ich habe schon Filme gedreht, wo ich die Theatervorlage eins zu eins umgesetzt habe, zum Beispiel bei „Tropfen auf heiße Steine” oder „Acht Frauen”. Diese Filme spielen mit der Idee des Theatralischen, die immer ein Element des Films gewesen ist. In meinem letzten Film, „In ihrem Haus” habe ich eher versucht, gegen den theatralischen Aspekt des Stückes zu arbeiten und eine filmische Umsetzung zu finden, der man das Theaterstück nicht mehr anmerkt.

MS: Aber am Ende des Films schließt sich wieder ein Vorhang...

FO: ...weil das Leben eine Bühne ist, auf der wir die Darsteller sind, wenn Sie so wollen. Wir alle tragen Masken. Das ist doch die Wirklichkeit.


Ein Bild aus DANS LA MAISON (F 2012).

MS: Wie sind sie auf das Stück von Mayorga gekommen. Haben Sie seinerzeit die Inszenierung im Théâtre de la Tempête gesehen?

FO: Ja. Ich werde ziemlich oft von Schauspielern gebeten, mir ihre Stücke im Theater anzusehen. Ich hab im Allgemeinen nicht viel Lust dazu, aber in diesem Fall hat eine Freundin von mir so lange nachgehakt und der Titel des Stücks „Der Junge aus der letzten Reihe” gefiel mir so gut, dass ich schließlich doch hingegangen bin. Und als ich das Stück gesehen habe, war mir sofort klar, das ist was für mich. Es geht um einen frustrierten Literaturlehrer, den ein Schüler dazu bringt, wieder Spaß am Erfinden von Geschichten zu bekommen. Das war noch, bevor ich „Das Schmuckstück” gedreht habe.

MS: Es gibt in ihren Filmen zahlreiche abgeschlossene Räume oder Häuser als Protagonisten, zahlreiche Kammerspiele.

FO: Mein Vater war Wissenschaftler. Er machte immer wieder kleine Experimente mit Mäusen und Fröschen. Ich bevorzuge es, die Figuren zusammen einzuschließen und zu sehen, was passiert.

MS: Im Theaterstück von Mayorga werden die Aufsätze des Schülers vorgelesen. Das haben Sie geändert.

FO: Sie haben das Stück gelesen? Im Original?

MS: In der französischen Fassung. Sie haben die im Stück rezitierten Texte großenteils in Off-Texte zu stummen Szenen verwandelt.

FO: Ja, ich musste das visualisieren, was im Theater über Dialog oder Monolog abgewickelt wird. Im Kino kann eine Seite Dialog durch einen Blick, eine Einstellung, eine Kamerabewegung dargestellt werden. Das ist ein Vorteil. Und es hat mich bei diesem Film besonders gereizt, zu allen Formelementen, die im Theater funktionieren, eine Kinoentsprechung zu finden. Die Amerikaner hätten aus der Vorlage ganz sicher einen Thriller gemacht, der komplett in dem Haus spielt, wo dann auch alle wichtigen Ereignisse stattfinden. Aber mich hat genau das Gegenteil interessiert: Es passiert nur Alltägliches, banale alltägliche Probleme werden gezeigt und das Interesse des Zuschauers gilt weniger dem, was als nächstes geschehen wird, als vielmehr der Frage, wie diese Alltäglichkeiten erzählt werden. Die Erzählweise interessiert mehr als das Erzählte.

Mittwoch, 20. Februar 2013

Dauer als Qualität

In ihrer abschließenden Besprechung der Berlinale und der Preisvergaben ("Ein kleines Wunder am Potsdamer Platz") hat Cristina Nord in der taz am Montag an entscheidender Stelle Jacques Rancière zitiert. „Der Realismus setzt Situationen, die andauern, gegen Geschichten, die verketten und immer schon zum nächsten übergehen.“ Sie untermauert damit ihre Kritik an Tanovics Film „Epizoda u zivotu beraca zeljeza.“ Dem „fehlt jedes Gespür dafür, dass es einer gewissen Dauer bedarf, um prekäre Lebensumstände filmisch zu erschließen.“

Ich habe den Film nicht gesehen und nach der Kritik von Cristina Nord weiß ich auch nicht, ob ich ihn mir noch ansehen werde. Trotzdem ist mir das Rancière-Zitat und die Argumentation gegen den Film hängen geblieben. Vielleicht, weil die Sätze so in Stein gemeißelt daherkommen: Der Realismus setzt... es bedarf einer Dauer... prekäre Lebensumstände erschließen. 

Das sind Formulierungen, die manifestartig eine ästhetische Position festschreiben, in der dem Begriff Realismus in Koppelung mit dem der Dauer ein zentraler Platz eingeräumt wird. Eine Art „Augenblick verweile doch, du bist so schrecklich“ scheint da eingefordert. Und bei Rancière wird das Plädoyer für diese Ästhetik des Hässlichen noch um eine Absage an den Plot, an die Idee der Erzählung verlängert. Von Film wird demnach die insistente Darstellung prekärer Lebensumstände erwartet, die der Ausbreitung von Situationen den Vorrang gibt.

Ein klares Statement für das Dokumentarische gegen das so genannte Fiktionale im Film, ein Statement, das als ästhetische Position weder besonders neu noch eine Einzelmeinung ist, weil es seit mehr als fünfzig Jahren zur Standardausstattung des engagierten Filmbetrachters gehört. Auch das Manifest-Heft von Revolver wimmelte von Bekenntnissen zu einem persönlichen, eigenen, echt gefühlten oder authentischen Film, zu einem methodischen Realismus, der sich seit den Publikationen der Nouvelle Vague mit Bezug auf den italienischen Neorealismus, in den Ansätzen der filmkritik oder PR-Kampagnen wie dem Dogmafilm regelmäßig erneuert.

Dagegen ist auch wenig einzuwenden. Wer stellt sich schon hin und erklärt, die eigenen Filme wollten nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben? Abgesehen davon, dass die Pose einer solchen Aussage den Inhalt sofort konterkarieren würde: Die Forderung, der Film soll mit der Wirklichkeit zu tun haben, ist trivial. Bazins wichtige Grunderkenntnis war, dass es zu den onthologischen Bedingungen des Films gehört, ein Abbild von etwas zu sein, das man gewöhnlich als Realität bezeichnet. Das gilt sogar noch für den Animationsfilm und die dort hergestellten Welten, die stets verzerrte Kopien der einzig wirklichen sind. So sehr Bazins Feststellung einen nicht abschüttelbaren Bezug des Films auf das abgebildete Andere des Lebens herstellt, so sehr setzt er damit auch die Nichtidentität. Als Kunstform, die freizügig mit diesen Abbildern operiert, bleibt Film stets realitätsfremd oder anders gesagt, enthält Realität nur verfremdet. Einem Film fehlenden Realismus vorzuwerfen, ist demnach in erster Linie ein politisches Argument.

Kriterium für Realismus ist nach Rancière/Nord die Dauer von Situationen. Eins der filmischen Mittel der Wahl ist seit jeher die Plansequenz, die lange, ununterschnittene Einstellung. Doch ist deshalb der Schlagabtausch von Julie Delpy und Ethan Hawk in Before Midnight realistischer als andere Gesprächssituationen? Ist Russian Ark demnach ein guter Film? Plansequenzen wie am Anfang von Touch Of Evil oder Hanekes Code – inconnu sind die artifiziellsten Filmerzeugnisse, die man sich denken kann und eher Beispiele für die strenge Durchstrukturierung einer Realitätsfiktion. Setzt man gegen diese Szenen, „die verketten und immer schon zum Nächsten übergehen“ Szenen, in denen man einer Figur zusieht, wie sie sich beide Schuhe zuschnürt, sich einen Mantel anzieht und dann erst die Wohnung verlässt, wie sie sich vom Wasseraufsetzen bis zum Nachfüllen des Filters Kaffee kocht, so ist der Gewinn sicher die Geste, mit der der Zuschauer gewissermaßen an den Tisch gebeten wird. Er soll in eine Situation verwickelt werden, die ihm bekannt ist, um mit Fremdem zu sympathisieren. Im schlechtesten Fall geht diese Operation der Dauer auf Kosten der Innenspannung einer Szene, anders formuliert: Ich sehe solche Szenen, spüre den Zweck – und oft genug nur den – und bin verstimmt. Nur selten gelangen solche Einstellungen wie die Schlussbilder von Johan van Keukens "De grote Vakantie" – gedreht als eigener Abgesang aufgrund der Krebserkrankung –, in denen man Schiffe auf dem Rhein im Gegenlicht glitzern sieht, zu einer das Abbild übersteigenden Bedeutung, dann aber auch, weil der durch den Film ausgebreitete Hintergrund stark genug ist, die Darstellung das Dargestellte transzendieren zu lassen.

Plansequenz ist gleichbedeutend mit Verzicht auf Montage. Gerade im Schnitt liegen aber Möglichkeiten, Situationen zu verlängern und durch Insistenz zu verstärken. Doch wo ist hier die Abgrenzung zu Verkettung und Übergang? Der Fluss, den der Schnitt künstlich herstellt, etabliert per se eine scheinbar logische Abfolge, gleichgültig, ob konfrontativ Achsensprünge, Orts- und Zeitwechsel oder vekettend Bildübergänge geschnitten werden. Sicher, wenn auf den Blick nach oben die Subjektive in die Baumkronen folgt, wenn mit Betreten des Hauses die Kamera von der Rückansicht von außen in die Frontalsicht der Hauptfigur von innen springt oder Gespräche als gestaffelte Zweier mit Frontalansicht beider Gesprächsteilnehmer aufgenommen werden und der Sprung in Schuss/Gegenschuss erfolgt, sobald sich die vordere Person umdreht, dann folgt das Schnitt-Konventionen, die für jeden Schnitt einen Auslöser brauchen, den Film als logische Kette von Einstellungen gliedern, in der Übergänge gefühlt unsichtbar sein sollen, obwohl die Mittel greifbar künstlich sind. Doch selbst, wer diese Konventionen unterläuft, wird nichts dagegen ausrichten können, dass die Abfolge der Einstellungen in einem Film als logisches Kontinuum wahrgenommen wird, selbst wenn der Bruch zum Stilprinzip erhoben wird. Und noch die stilisierteste, artifiziellste Auflösung einer Szene kann dem Bedürfnis folgen, sie besonders intensiv und damit in überhöhter Form realistisch darzustellen, gewissermaßen nach dem „Durchgang durch das Unendliche“ wie Kleist das in seinem Aufsatz über das Marionettentheater nennt.

Die Insistenz auf Situationen, die Dauer allein schafft keinen guten Film, genau so wenig wie das Vertrauen auf einen ausgefeilten Plot mit schnellen Wendungen. Die Situationen müssen stark und bedeutsam genug sein, um die Dauer tragen zu können und sie müssen überzeugend gestaltet sein, auch in ihrem Zusammenspiel. Auf der Berlinale gab es zahlreiche Beispiele, in denen das nicht gelang, zum Teil auch, weil die Filmemacher sich zu sehr auf die schiere Abbildung, die Wirkung des Bildes verlassen haben, zu wenig über die hinter diesen Bildern erzählte Geschichte nachgedacht haben. Und damit meine ich nicht das, was sich in zwei Sätzen pitchen lässt. So berechtigt die Unzufriedenheit mit am Reißbrett geplotteten Filmen ist, bleibt Film eine erzählerische Kunstform, die viele Mittel der Realitätsfiktion zur Verfügung hat, um den Zuschauer für das zu interessieren, was sie uns in der der Kunst eigenen Mischung aus Abbild und Konstruktion als Kette von Situationen ausbreitet. "Es gibt kein Richtiges im Falschen" so könnte man Adorno gegen Rancière aufstellen. Die im Feuilleton ausgebreiteten Dichotomien zeugen von filmpolitischen Lagerkämpfen, die mit der Tauglichkeit von Filmen nur wenig zu tun haben, denen die Kritik ein Korrektiv sein will. Ich bin jedenfalls für einen Realismus der starken Situationen, der das "gut Erzählte" nicht aus dem Blick verliert, für Filme, die sich der Dauer genau so bedienen wie der Elipse, des Bruchs, der Stilisierung und der Verkettung, um ihr Ziel zu erreichen. Wenn man das Gespür dafür nicht verliert, was man macht, wenn man es so macht, ist beim Filmemachen jedes Mittel recht.

Freitag, 15. Februar 2013

Vic et Flo ont vu un ours


Ein Interview mit Denis Côté war neulich in Revolver. Bislang hatte ich noch keinen seiner Filme gesehen. Schon deshalb hat mich „Vic et Flo ont vu un ours“ interessiert. Aus Kanada kamen zuletzt immer wieder ungewöhnliche frankophone Filme. Die Synopsis klang zwar nur mäßig interessant, aber der Titel ist witzig – allerdings nur auf Französisch. „Avoir vu le loup“, also den Wolf gesehen haben, heißt, man hatte zum ersten Mal Sex, hat seine Unschuld verloren. Und „être un peu ours“ – ein Satz der auch im Film fällt – heißt eigenbrötlerisch sein, „avoir ses ours“, seine Tage haben.


Und der Film macht da weiter, wenn er mit Klischees des Gangsterfilms spielt und sie mit kanadischer Hinterwälderalltagsschrägheit und einer lesbischen Liebesgeschichte kombiniert. Sicher kann man das Ende schlecht hergeleitet und übertrieben finden. Es dauert auch schlicht ein, zwei Einstellungen zu lang. Aber bis dahin wird ziemlich eindrücklich gezeigt, welche Schwierigkeiten eine fast sechzigjährige Ex-Sträflingin hat, ins Leben jenseits der Mauern zurückzufinden. Andererseits stolpert sie über skurrile Widerstände und Zwischenfälle, die den sozialrealistischen Gestus des Plots konterkarieren und eben in das überhöhte Finale münden, in dem Vic und Flo in für sie aufgestellten Bärenfallen verenden.


Dass hier mit Vic eine Frau mit dem Urteil lebenslänglich vorzeitig entlassen wird, ist bereits ein Signal. Es muss Mord gewesen sein, die Protagonistin lässt sich aber im Folgenden höchstens Ruppigkeiten gegen ihren paralysierten Onkel, die gemeinen Nachbarn oder den distanzlosen Sozialhelfer zu Schulden kommen. Ihre Freundin ist bi, der Sozialhelfer schwul – Vic erinnert ihn an seine Mutter – und da alle wichtigen Aktiva weiblich sind, ist auch die Böse eine Frau, mit der Flo eine Rechnung offen hat – welche, bleibt offen. Klar ist aber, wer einmal aus dem Blechnapf aß, die ist auch in Kanada und einem weitreichenden Sozialsystem nicht davor sicher, von dem eingeholt zu werden, vor dem sie in den Wald geflohen ist. Der Wald verspricht Menschenleere, Bären, Einsamkeit. Aber selbst in Kanada entkommt man der Gesellschaft nicht, weder der bürgerlichen fieser Nachbarn noch der kriminellen, die erst am Ende zeigt, dass sie sogar noch fieser sein kann.


Vieles wirkt in diesem Film eher gut gefunden als erfunden: die Gruppe Rennradfahrer, die aus dem Wald auftaucht und wieder verschwindet, das Elektroauto eines Golfplatzes, mit dem Vic und Flo durch die Gegend fahren, der Nachbarjunge mit seinem ferngesteuerten Helikopter, die Waldszenen, das Eisenbahnmuseum voller rostiger Lokomotiven, die trostlose Bar. Spätestens die Cartrennbahn weist darauf hin, dass hier mit System Orte und technische Embleme für gegenläufige (männliche) Lebensentwürfe versammelt sind, die in ihrer Disparatheit darauf hinweisen, wie disparat gesellschaftliche Zusammenhänge sind, wenn die Abgrenzung über technische Attribute erfolgt, die in dem Film wie Hundeduftmarken und immer als Aggressionen und Teil männlichen Revierverhaltens in Erscheinung treten. Altmodisch normal und friedlich scheint in diesem Panoptikum menschlicher Abgrenzungen, eigentlich nur die Ex-Gefangene leben zu wollen.

Sicher ist das nicht der vollendete Film des Jahres, aber ein Hinweis, wie man mit einfachen Mitteln jenseits der Dardennes und Ken Loach ein Sozialdrama entfalten kann, das noch die Zweifel am eigenen Genre reflektiert.


Revolver Heft 27



Ich habe dieses Mal völlig vergessen, das neue Heft von Revolver anzukündigen. Hiermit nachgeholt:

"Wo steht der Feind? Wenn das so einfach wäre. Auf zwei Gefahren können wir uns (mit Jean Améry) einigen: „Ordnung und Unordnung”. Über das Dazwischen müssen wir reden. Dieses Heft hat kein ausdrückliches Thema, und doch gibt es interessante Überschneidungen zwischen Marie Vermillard, Andrew Bujalski und Jan Schomburg zum Beispiel; Filmemacher, die – leicht im Ton, offen in der Form – an einem undogmatischen Kino arbeiten. Die alten Meister der Freiheit, Hartmut Bitomsky und Chris Marker, flankieren das Heft mit überraschenden Einsichten. Und auch Nicolai Albrecht passt in diese Reihe; in seinem Text geht es um Trance und Improvisation. In diesem Sinne: weiterlesen ... "

Inhalt: 
Revolver live! Marie Vermillard im Gespräch mit Ulrich Köhler
Mathilde Lesueur: Das Picknick in „Lila Lili”
Hartmut Bitomsky: Ästhetischer Widerstand
Revolver live! Andrew Bujalski im Gespräch mit Nicolas Wackerbarth
Nicolai Albrecht: Direkter Filme machen
Hartmut Bitomsky: Ein wahres Kino
Interview von Istvan Gyöngyösi: Jan Schomburg
Chris Marker: 2084


Dienstag, 12. Februar 2013

Holzwege

Die Vorliebe deutscher Filme für rätselhafte Rückenansichten, vor allem von Frauen, ist bekannt. Die auf der Berlinale neu vorgestellten Filme sind aus anderen Gründen unbefriedigend. Nina Hoss reitet in Gold schweigend und mit hölzernem Gesicht durch eine sehr hölzerne Landschaft, begleitet weitgehend von Chargen, die jeder wegen der allgemeinen Schweigsamkeit mit einem Selbstdarstellungsmonolog abgefrühstückt werden, kurz bevor sie auf die durchschaubarste und hölzernste „Einer-kam-durch“-Dramaturgie ins Jenseits befördert werden. Sehr viel Holz. Innenwelten werden in 1zu1-Aufsagern auf dem Tablett serviert, der Rest spielt sich weitgehend jenseits der Wahrnehmung des Zuschauers ab, der Nina Hoss immer wieder von links nach rechts oder rechts nach links durchs Bild reiten sieht.

In Halbschatten ist zwar die Gefühlslage klar und auch klar gespielt. Aber ein Film über die Langeweile und das Warten, der Handlung minimalisiert, hat ein anderes Problem: Die ausgeklügelten Blicke auf leere Räume bilden nur in der engen Koppelung an eine dramatisch aufgeladene Figur Seelenlandschaften ab. Und selbst wenn das gelingt, sind feste Raumbilder ähnlich wie Darstellungen des Langweilens ermüdend. Man freut sich jedes Mal auf die lebhaften Spielmomente, zu denen Anne Ratte-Polle eben, wie man dann sieht, sehr fähig ist. Eigentlich schade nach Unten, Mitte, Kinn.

Auch bei Pia Marais scheint der Neuling weniger gelungen als der Vorgänger, der von den schrägen Milieus lebte, durch die Jeanne Balibar gespült wurde. Layla Fourie stellt zwar schnell eine moralische Spannung her, ein – auch wieder im Dialog recht explizit ausgebreitetes – Spiel um Lüge, Wahrheit und Ehrlichkeit, aber für die Darstellung des inneren Zwiespalts der Hauptfigur, für den Widerstreit von Sorge ums Kind und schlechtem Gewissen fällt der Regisseurin vor allem die unverändert sorgenschwere Profilansicht von Rayna Campbell ein, das unbewegte Gesicht einer schweigenden Frau, die mit dem Auto durch die Nacht fährt.

In Konsequenz muss in diesem Film mal wieder ein Autounfall herhalten, um die Handlung in Gang zu bringen, eine ärgerliche Konstante deutscher Kinogeschichten der letzten zehn Jahre. Und als wäre das noch nicht genug, fügt der Zufall auch die restlichen Verknüpfungen der Figuren wie von Zauberhand zusammen: Ausgerechnet den Sohn des Unfallopfers muss ausgerechnet die Hauptfigur für eine Job-Bewerbung testen. Ausgerechnet der Sohn nimmt sie und ihr Kind mit zu sich nach Hause und zu seiner Mutter, die ausgerechnet in der Nacht, in der ihr Mann nach Kasinobesuch umkam, auch dort spielte. Zufälle wie die Zahlenreihen am Roulettetisch sind das nicht, eher potenzierte Unwahrscheinlichkeiten einer Abfolge von mehreren Nullen.

Diese hölzerne Anbahnung, die sich kein Fernsehkrimi leisten kann, ohne höhnisch niedergemacht zu werden, kommt natürlich als Drehbucheinfall erst in den Blick, wenn man den Figuren Gesten und Eigeninitiative in Richtung fremder Personen möglichst abschnürt, wenn man sie in sich selbst gefangen setzt und eine eher geleeartige innere Verfassung vorschreibt, die das Auto zum Marmeladenglas werden lässt. Das System der Hemmungen von emotionalen und aktiven Impulsen wird bei Pia Marais angesichts des Lügenthemas zwar thematisiert. Es lähmt die Figuren dieser Filme aber allesamt und verdonnert sie auf eine unverständliche Weigerung, sich verständlich zu machen.

Gut. Diese Art Filme hat noch nie auf vielschichtigen Dialog als realen Teil der menschlichen Welt gesetzt und ganz sicher nicht auf Witz. Bei Pia Marais wird Lüge entsprechend auch nicht wirklich als schillernde menschliche Grundkonstante vorgestellt, sondern in eine protestantische Betrachtung über Wahrheit und Lüge im moralischen Sinne eingebettet. Dass man trotz der zahlreichen nächtlichen Fahrten die Bedrohung spürt, die Layla Fourrie treibt, liegt sicher nur zum Teil an diesen moralischen Seiten der Erzählung. Eher an der ängstlich besorgten Beziehung der Mutter zum Kind, dessen Gesicht die Probleme bebildert. Die Schwächen der Konstruktion überschatten die Inszenierung jeder anderen sozialen Interaktion, insbesondere der Liebesszene, die erst funktioniert, wenn man die beiden, die sich da laut Drehbuch aneinander abarbeiten sollen, nicht mehr sieht.

Sowohl bei Thomas Arslan als auch bei Pia Marais ist ein Hang zur Vollständigkeit der filmischen Erzählung (ein langer Weg muss eben lang gezeigt werden), zur Vermeidung von Ellipsen und zur Verwendung langer, nicht unterschnittener Einstellungen, die eine Handlung vollständig auserzählen, stilbildend. Die dramaturgische Notwendigkeit all dieser Mittel ist nicht wirklich einzusehen, außer als Verstoß gegen die Zwänge von Witz, Pointe und Spannung. Das war mal als Kontrapunkt zum Unterhaltungskino gedacht. Der Schmerz und die Empörung angesichts solcher entsättigter Dramaturgie hat jedoch seine Spannkraft in den letzten Jahren durch Wiederholung ziemlich eingebüßt. Das Unbehagen gegenüber Konventionen, die diese Art Filmemachen selbst hervorgebracht hat und die heute gerne mit Berliner Schule verbunden werden, ist dem Versuch anzusehen, Genres anzuzapfen, in diesen beiden Fällen Western- und Spionage-Thriller. Doch hier zeigen die Filme, weil sie von den Konventionen trotzdem nicht wirklich lassen können, ihre größten Schwächen. Die Westernelemente sorgen bei Arslan für den ein oder anderen unfreiwilligen Witz. Goldbemalte Steine müssen gleich am Anfang als Nuggets herhalten, die von auf stumm gestellten Goldsuchern erstaunlich leicht gefunden werden. Und insbesondere der Shootout ist weder spannend, noch drastisch oder besonders realistisch, sondern in einer Häufung von Totalen, in denen die Duellanten sich allzu gerne abknallen lassen, einfach schlecht inszeniert.

Bei Pia Marais wird dagegen das Agentenrequisit Lügendetektor, der das Spiel um Lüge und Wahrheit rund um das Kasinogeschehen orchestriert, nur mäßig glaubwürdig eingeführt. Ein Vehikel, das am Ende seine Schuldigkeit getan hat und entsorgt wird. Hinter den Genre-Anleihen wird sichtbar, welches Muster diese Filme in erster Linie prägt: das Road-Movie in einer besonders entschleunigten Variante.

Im Mittelpunkt steht die Transition, die Bewegung von A nach B, die in dieser zurückgenommenen Form Filme auf die Dramaturgie von S-Bahn-Fahrten verdonnert und vor allem den banalen Satz illustriert, dass der Mensch ein Reisender ist. Bei Pia Marais liegen die Beweggründe der Hauptfigur für diese Reisen und die jeweiligen Ziele zwar in der Zweckmäßigkeit des Geldverdienens offen und bei Thomas Arslan geht es um das Erreichen des Ziels Klondike. Trotzdem sind Wege als Wege nur mäßig interessant, wenn das, was unterwegs mit den Figuren geschieht, wie Haltestellen auf den Faden einer an sich gleichförmigen Fahrt gefädelt ist. Ein Weg für den deutschen Film ist das nicht.