Dienstag, 28. Juni 2011

Agogik II

Die klassische musikalische Formenlehre, die dem Lied abgeschaut ist und deshalb auch noch Pop- und die meisten Jazzmusiken dominiert, kennt Takte als metrische Einheiten der Betonungsorganisation. Motive sind meist zweitaktig, zwei Motive fügen sich zu einer Phrase, zwei Phrasen ergeben eine Melodieführung. Auch wenn von Anfang an die strenge Teilbarkeit durch vier Takte durch Überlappungen, endlose Melodien, Vorhalte und andere Abweichungen konterkariert worden ist, so kann man die meisten klassischen Stücke und fast alle Standards sowie alles aus Blues und Rock, in Viertaktblöcke teilen, die gewisse Sinneinheiten ergeben. Eine Aufgabe der Agogik besteht darin, diesen Viertakteinheiten klanglich einen Bogen und damit einen Bedeutungszusammenhang zu geben, den sie laut Notation vielleicht nur durch Pausen am Schluss haben. Dieser Teil der Agogik, die Anlage von Phrasen in satzähnliche Einheiten, die dann aufeinander aufbauen, betrachet ein Musikstück als einen Stimmungsverlauf, als ein Farbwechselbad, in dem Brüche von Phrase zu Phrase genau so als Gestaltungsformen erlaubt sind, wie allmähliche Übergänge.

Nicht selten finden sich in Liedschemata vier Achttaktblöcke, die jeweils aus zwei Viertaktblöcken bestehen: A, A', B, A. Es ist merkwürdig, dass auch die meisten dramaturischen Modelle vier dramatische Einheiten kennen. Ob bei Tschechow, Dostojewski, in der Drehbuchtheorie der drei ungleich langen Akte - der zweite als doppelt langer: Als wäre es auch diesem Kuchen vorgegeben, vorerst halbiert und dann geviertelt zu werden. Eine Übertragung des Liedschemas auf Film ist als Gedankenspiel möglich. Es schläft ein Lied in allen Dingen.

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