Die Vorliebe deutscher Filme für rätselhafte Rückenansichten, vor allem von Frauen, ist bekannt. Die auf der Berlinale neu vorgestellten Filme sind aus anderen Gründen unbefriedigend. Nina Hoss reitet in Gold schweigend und mit hölzernem Gesicht durch eine sehr hölzerne Landschaft, begleitet weitgehend von Chargen, die jeder wegen der allgemeinen Schweigsamkeit mit einem Selbstdarstellungsmonolog abgefrühstückt werden, kurz bevor sie auf die durchschaubarste und hölzernste „Einer-kam-durch“-Dramaturgie ins Jenseits befördert werden. Sehr viel Holz. Innenwelten werden in 1zu1-Aufsagern auf dem Tablett serviert, der Rest spielt sich weitgehend jenseits der Wahrnehmung des Zuschauers ab, der Nina Hoss immer wieder von links nach rechts oder rechts nach links durchs Bild reiten sieht.
In Halbschatten ist zwar die Gefühlslage klar und auch klar gespielt. Aber ein Film über die Langeweile und das Warten, der Handlung minimalisiert, hat ein anderes Problem: Die ausgeklügelten Blicke auf leere Räume bilden nur in der engen Koppelung an eine dramatisch aufgeladene Figur Seelenlandschaften ab. Und selbst wenn das gelingt, sind feste Raumbilder ähnlich wie Darstellungen des Langweilens ermüdend. Man freut sich jedes Mal auf die lebhaften Spielmomente, zu denen Anne Ratte-Polle eben, wie man dann sieht, sehr fähig ist. Eigentlich schade nach Unten, Mitte, Kinn.
Auch bei Pia Marais scheint der Neuling weniger gelungen als der Vorgänger, der von den schrägen Milieus lebte, durch die Jeanne Balibar gespült wurde. Layla Fourie stellt zwar schnell eine moralische Spannung her, ein – auch wieder im Dialog recht explizit ausgebreitetes – Spiel um Lüge, Wahrheit und Ehrlichkeit, aber für die Darstellung des inneren Zwiespalts der Hauptfigur, für den Widerstreit von Sorge ums Kind und schlechtem Gewissen fällt der Regisseurin vor allem die unverändert sorgenschwere Profilansicht von Rayna Campbell ein, das unbewegte Gesicht einer schweigenden Frau, die mit dem Auto durch die Nacht fährt.
In Konsequenz muss in diesem Film mal wieder ein Autounfall herhalten, um die Handlung in Gang zu bringen, eine ärgerliche Konstante deutscher Kinogeschichten der letzten zehn Jahre. Und als wäre das noch nicht genug, fügt der Zufall auch die restlichen Verknüpfungen der Figuren wie von Zauberhand zusammen: Ausgerechnet den Sohn des Unfallopfers muss ausgerechnet die Hauptfigur für eine Job-Bewerbung testen. Ausgerechnet der Sohn nimmt sie und ihr Kind mit zu sich nach Hause und zu seiner Mutter, die ausgerechnet in der Nacht, in der ihr Mann nach Kasinobesuch umkam, auch dort spielte. Zufälle wie die Zahlenreihen am Roulettetisch sind das nicht, eher potenzierte Unwahrscheinlichkeiten einer Abfolge von mehreren Nullen.
Diese hölzerne Anbahnung, die sich kein Fernsehkrimi leisten kann, ohne höhnisch niedergemacht zu werden, kommt natürlich als Drehbucheinfall erst in den Blick, wenn man den Figuren Gesten und Eigeninitiative in Richtung fremder Personen möglichst abschnürt, wenn man sie in sich selbst gefangen setzt und eine eher geleeartige innere Verfassung vorschreibt, die das Auto zum Marmeladenglas werden lässt. Das System der Hemmungen von emotionalen und aktiven Impulsen wird bei Pia Marais angesichts des Lügenthemas zwar thematisiert. Es lähmt die Figuren dieser Filme aber allesamt und verdonnert sie auf eine unverständliche Weigerung, sich verständlich zu machen.
Gut. Diese Art Filme hat noch nie auf vielschichtigen Dialog als realen Teil der menschlichen Welt gesetzt und ganz sicher nicht auf Witz. Bei Pia Marais wird Lüge entsprechend auch nicht wirklich als schillernde menschliche Grundkonstante vorgestellt, sondern in eine protestantische Betrachtung über Wahrheit und Lüge im moralischen Sinne eingebettet. Dass man trotz der zahlreichen nächtlichen Fahrten die Bedrohung spürt, die Layla Fourrie treibt, liegt sicher nur zum Teil an diesen moralischen Seiten der Erzählung. Eher an der ängstlich besorgten Beziehung der Mutter zum Kind, dessen Gesicht die Probleme bebildert. Die Schwächen der Konstruktion überschatten die Inszenierung jeder anderen sozialen Interaktion, insbesondere der Liebesszene, die erst funktioniert, wenn man die beiden, die sich da laut Drehbuch aneinander abarbeiten sollen, nicht mehr sieht.
Sowohl bei Thomas Arslan als auch bei Pia Marais ist ein Hang zur Vollständigkeit der filmischen Erzählung (ein langer Weg muss eben lang gezeigt werden), zur Vermeidung von Ellipsen und zur Verwendung langer, nicht unterschnittener Einstellungen, die eine Handlung vollständig auserzählen, stilbildend. Die dramaturgische Notwendigkeit all dieser Mittel ist nicht wirklich einzusehen, außer als Verstoß gegen die Zwänge von Witz, Pointe und Spannung. Das war mal als Kontrapunkt zum Unterhaltungskino gedacht. Der Schmerz und die Empörung angesichts solcher entsättigter Dramaturgie hat jedoch seine Spannkraft in den letzten Jahren durch Wiederholung ziemlich eingebüßt. Das Unbehagen gegenüber Konventionen, die diese Art Filmemachen selbst hervorgebracht hat und die heute gerne mit Berliner Schule verbunden werden, ist dem Versuch anzusehen, Genres anzuzapfen, in diesen beiden Fällen Western- und Spionage-Thriller. Doch hier zeigen die Filme, weil sie von den Konventionen trotzdem nicht wirklich lassen können, ihre größten Schwächen. Die Westernelemente sorgen bei Arslan für den ein oder anderen unfreiwilligen Witz. Goldbemalte Steine müssen gleich am Anfang als Nuggets herhalten, die von auf stumm gestellten Goldsuchern erstaunlich leicht gefunden werden. Und insbesondere der Shootout ist weder spannend, noch drastisch oder besonders realistisch, sondern in einer Häufung von Totalen, in denen die Duellanten sich allzu gerne abknallen lassen, einfach schlecht inszeniert.
Bei Pia Marais wird dagegen das Agentenrequisit Lügendetektor, der das Spiel um Lüge und Wahrheit rund um das Kasinogeschehen orchestriert, nur mäßig glaubwürdig eingeführt. Ein Vehikel, das am Ende seine Schuldigkeit getan hat und entsorgt wird. Hinter den Genre-Anleihen wird sichtbar, welches Muster diese Filme in erster Linie prägt: das Road-Movie in einer besonders entschleunigten Variante.
Im Mittelpunkt steht die Transition, die Bewegung von A nach B, die in dieser zurückgenommenen Form Filme auf die Dramaturgie von S-Bahn-Fahrten verdonnert und vor allem den banalen Satz illustriert, dass der Mensch ein Reisender ist. Bei Pia Marais liegen die Beweggründe der Hauptfigur für diese Reisen und die jeweiligen Ziele zwar in der Zweckmäßigkeit des Geldverdienens offen und bei Thomas Arslan geht es um das Erreichen des Ziels Klondike. Trotzdem sind Wege als Wege nur mäßig interessant, wenn das, was unterwegs mit den Figuren geschieht, wie Haltestellen auf den Faden einer an sich gleichförmigen Fahrt gefädelt ist. Ein Weg für den deutschen Film ist das nicht.
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