Freitag, 6. Juni 2014

Über-Ich und Du


Das folgende Interview von mir mit Benjamin Heisenberg erschien in FILMDIENST 10/2014





Nach den Dramen „Schläfer“ und „Räuber“ nun eine Komödie. Wie kommt’s?

 
Ich wollte das seit Ewigkeiten ausprobieren, weil das ein großer Teil meiner Filmsozialisation ist und ich durch französische Komödien, Woody Allen oder Lubitsch einfach eine große Liebe zur Komödie habe.

Sie haben erzählt, „Schläfer“ war in der ersten Fassung eine Komödie.
 

Ja. Nach dem Elften September fand ich das irre, dass die Geheimdienste plötzlich merkten, hups, wir sind völlig hinterher, wir müssen Leute in den Außendienst schicken, um potentielle Schläfer zu finden. Ich hab mich gefragt, wie das wäre, wenn eine Schreibmaus aus dem Keller in Pullach plötzlich auf einen netten potentiellen Bombenleger trifft. Ich fand’s dann aber doch interessanter, das als Drama zu schreiben.
 

Die französische Libération schrieb nach der Premiere von „Über-ich und du“ auf der Berlinale, das sei „der erste witzige Film aus Deutschland.“ Die Berliner Schule kann doch Komödie ...

Absolut. Ich finde ja auch, dass Maren Ades Filme sehr komödiantisch sind.
 

Aber war nicht für eure Filmsozialisation wichtig, euch von den Münchener Komödien der achtziger Jahre abzusetzen, statt selbst Komödien zu machen?
 

Kommt drauf an, von welchen Komödien wir reden. "Monaco-Franze“ zum Beispiel mochte ich sehr. Ich habe nie grundsätzlich gedacht, ich muss jetzt was Ernstes machen.

„Über-ich und du“ ist eine Buddygeschichte. Die fast besten Freunde sind ein emeritierter Psychoanalytiker und ein Kleinganove, der vom Verkauf geklauter Bücher lebt. Wie seid ihr auf diese Paarung gekommen?
 

Mein Koautor Josef Lechner, ein alter Freund von mir, hat mal mit einem alten, gebildeten Herrn zusammen gelebt. Josef hat mir immer die ganzen Stories erzählt und ich hab ihn gebeten, alles aufzuschreiben, weil das so witzig war. Daraus ist das Drehbuch entstanden. Josef war in dieser WG so etwas wie der Hausmeister und musste den alten Mann durch die Gegend fahren. Der hat ihn ständig kontrolliert, zum Beispiel beim Autofahren. Trotzdem haben sie sich gut verstanden, weil Josef, der auch eher so ein künstlerischer Intellektueller ist, sich gut mit ihm unterhalten konnte – er lebte damals auch tatsächlich vom Bücherverkaufen.
 

Das Über-ich ist psychoanalytisch eine Elterninstanz, der Film durch das ungleiche Buddypaar eine Generationsgeschichte.
 

Mich hat die Grundidee interessiert, dass sich hier zwei nicht an Formen halten und sich als Sparringspartner ernst nehmen, selbst wenn der eine gebrechlich und der andere pleite ist. Dieser Umgang zwischen jung und alt kann beiden Seiten Spaß machen, wenn man den Älteren nicht umsorgt und auch nicht ständig nach dem Befinden fragt. Ich glaube, das wünschen sich auch viele alte Leute: Offener Austausch ohne Zurückhaltung und falsche Rücksichtnahme.
 

Hier geht die Einflussnahme in beide Richtungen so weit, dass die beiden aufgrund einer „Blitztherapie“ zumindest die Neurosen, wenn nicht die Rollen tauschen.
 

Das war die eigentliche Drehbucharbeit. Wir haben gesagt, der Austausch muss weiter gehen. Der Ganove muss den alten Mann berauben und der alte Mann muss den Ganoven so therapieren, dass der völlig aus dem Leim gerät. In vielem ist das eine Farce, die ihre Motive ständig bricht, für uns ein leichtfüßiger Spaß, sich als Autor mit dem Zuschauer über Charaktere zu unterhalten.
 

Auch wenn die Geschichte in München und Umgebung spielt, sprechen die beiden Hauptfiguren österreichischen und Elsässer Dialekt ...
 

Wir sind das heute nicht mehr gewohnt. Aber wenn Sie auf Deutsch gedrehte Filme von Lubitsch sehen, hören sie viel mehr Dialekte als heutzutage, auch wenn das in einer bestimmten Stadt spielen soll. So frei habe ich das eben auch gehandhabt.
 

In der Anfangssequenz, einem Stadtbild von München, taucht ein Fesselballon auf, der im Film immer wieder durchs Bild fliegt.
 

Wir wollten ein phantastisches Element haben. Der Heißluftballon hat etwas schön „Schwebendes“ in jeder Hinsicht, das wie ein großes Ausrufezeichen zu dem Film gehört. Für mich hat ein Fesselballon immer auch was von einem abgerissenen Kopf, der durch die Gegend schwebt, wie ein desorientiertes Über-ich, das über allem schwebt und Blödsinn redet. Es gibt eine Reihe solcher visueller Jokes, eine Palette von Symboliken. Das fängt mit der Vielzahl von Tieren an. Es gibt auch eine Postkarte im Regal des Professors mit zwei ganz auffälligen Augen. Und in die Türen des Bauernhofes in den Bergen haben wir extra zwei Löcher reingeschnitten, damit das auch wie ein Gesicht ist. Das sind auch kleine Referenzen zu Filmen von Buster Keaton oder Tati, in denen es sehr schöne "Gesichter" in Häusern gibt.
 

Ist das ein Niederschlag von C.G. Jungs Theorien zum Animismus?

Für mich gibt es eher Bezüge in sinnlicher Form, die für mich eine Referenz zu einem anderen Film oder zu realen lustigen Situation sind.
 

Der Psychoanalytiker des Films, Kurt Ledig soll in Freiburg zu Nazizeiten einen Lehrstuhl bekommen haben. Ein wenig wie Heidegger, aber ein vergleichbar „verstrickter“ Psychoanalytiker wäre eben C.G. Jung, der auch Erfinder der Archetypenlehre ist.
 

Es gibt natürlich Anknüpfungen an reale Personen, wie zum Beispiel Günter Grass, die früher Persönlichkeiten des Geisteslebens waren und die im Alter noch eine Schuldproblematik belastetet. Es gab einen draunter, der war so alt und verwirrt, dass die Familie gesagt hat, jetzt ist Schluss mit Interviews. Aus solchen Recherchen haben wir eine Figur entwickelt, die eine moralische Schuld in der NS-Zeit auf sich geladen hat, aber nicht die Schuld eines KZ-Wärters. Er sollte kollaboriert und von der Situation profitiert haben, aber mehr nicht.
 

Hat das mit den Verstrickungen Ihres Großvaters, des Physikers Werner Heisenberg zu tun?

Nein. Dieses Klima kenne ich natürlich schon seit Kindertagen, aber es sollte nicht auf ihn rekurriert werden.
 

Welche Überlegungen haben Sie vor dem Dreh zu Stil und Tempo der Komödie angestellt?

Es war nicht einfach, die verschiedenen Formen der Komik unter einen Hut zu bringen. Wir haben einen visuellen Stil festgelegt, der nicht zu stark bewegt ist, eher halbtotal bis total, also nicht so stark geführt, wie in den Dramen, die ich bisher inszeniert habe. Wir wollten den Schauspielern Platz lassen, keinen überspitzten, sondern eher einen semirealistischen Schauspielstil haben. Das Tempo war im Schnitt großes Thema. Es gab lange Zeit das Problem, dass die Szenen zwar in sich lustig waren, nicht aber im Zusammenhang. Andreas Wodraschke hat in Berlin alles noch mal radikal auf Rhythmus geschnitten und plötzlich war Drive drin und es funktionierte. Das war toll und für mich auch eine Lehre, wie man das schneidet. Er hat das ganz stark als Erzähler geschnitten und sich Fragen gestellt: Wie erzeuge ich die Komik, was ist eigentlich komisch und wie bringe ich das zu einem Maximum?
 

Nick erlebt seine Konversion in einer überraschenden Wiedergeburtsszene bei Sturm und Regen, nachdem er sich in die Erde hat eingraben lassen.
 

Das war eine ziemlich harte Szene für Georg Friedrich. Er steckt da tatsächlich in der Erde. Und mit dem künstlichen Regen und der Windmaschine kriegt man kaum noch Luft. Der hat in der Szene so ein Waterboarding-Gefühl gehabt. So beeindruckt, wie nach dem ersten Take, habe ich Georg nie gesehen. Da hat er nur noch gesagt, er weiß nicht, wie oft er das aushält.
 

Wie seid ihr auf dieses Ritual indischer Fakire gekommen?
 

Es gibt diese berühmte Arbeit von Maurizio Cattelan „Mother“, wo er zur Biennale in Venedig einen indischen Fakir bis auf die Hände hat einbuddeln lassen. Wir fanden das als Bild lustig und mochten es auch als brutale Therapiemethode aus der Nazi-Vergangenheit des Professors. Gleichzeitig führt das zu diesem Moment wie in Samuraifilmen: Wenn nichts mehr geht, wenn selbst der große Meister ausgeschaltet ist, dann hat Nick die innere Erleuchtung und entwickelt die Stärke, selbst aus dem Loch zu steigen.
 

Samurai- meets Heimatfilm. War das beabsichtigt?
 

Ja, das fand ich immer sehr schön. Wenn das Kind über die Wiese läuft, oder die Bergbauern am Tisch. Das ist klassischer Heimatfilm. Genau so, wie wir mit einer Postkarte von München anfangen, gibt’s auch hier Postkarten. Das finde ich für so eine Komödie ein schönes, süffiges Mittel.








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