Gestern habe ich mit einiger Verspätung Tore tanzt von Katrin Gebbe auf DVD gesehen. Die Kritiken sind alle geschrieben. Man muss dem nichts hinzufügen. Der Film wurde von Frederic Jaeger als „immersives Körperkino“ bezeichnet, was vielleicht einen Teil der Faszinationskraft des Films beschreibt. Die Körper bewegen sich, ob linkisch, exstatisch oder gewaltsam mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit durch Randräume unserer Gegenwart, besetzte Häuser, Schrebergärten, Parkplätze von Einkaufszentren.
Die Kamera ist immer nah dran, Handkamera. Die Bilder sind bei aller Bodenständigkeit der Motive teils stark stilisiert: Nebel in der Disko, dem Briefträger werden seine Briefe weggeweht. Die Epilepsie-Erkrankung des Hauptdarstellers liefert mehrfach den Vorwand für Zeitlupen. Alles das legitime Mittel eines Films, der die kinematographischen Mittel emotionalen Erzählens im Sinne einer dystopischen Erzählung nutzt: ein „Jesus-Freak“ unter „Kleingartenzombies“, wie er selbst mal als Witz sagt. Die Kalkulation und gleichzeitig die seltsam schwebende Unbestimmbarkeit der Bilder und Emotionen macht auf jeden Fall den Reiz dieses Debuts aus, das nur im Wortlaut der Dialoge und da auch keineswegs immer auf die Zufälligkeit der Improvisation zu setzen scheint.
Wie in Love Steaks ist der Held, dargestellt von Julius Feldmeier, ein „tumber Tor“, der seinen Namen offenbar dieser Eigenschaft verdankt und gleich mal mit einer Flusstaufe als junger Jesus-Jünger eingeführt wird. Der Film setzt zum Glück weniger auf Slapstick als Love Steaks und setzt seine Hauptfigur höchstens durch den absurden, aber unerschütterlichen Glauben an das Gute im Reich des Bösen ins Unrecht. Es gibt eben kein Richtiges im Falschen. Das dekliniert dieser Film mit großer Folgerichtigkeit gegen seine Hauptfigur durch, manchmal gegen Ende mit zu großer Folgerichtigkeit.
Interessant ist dabei die Zuordnung von Gut und Böse: Tore, der Jesus-Freak wirkt in weiten Teilen des Films wie ein hilfloser Bildungsbürgergutmensch, der unter Pegida-Anhänger gefallen ist. Tore ist blond (!), dürr, hat ein „unschuldiges Lächeln“, das manchen Kritikern auf den Geist gegangen ist, mir nicht, weil es in der Konsequenz einer Figur liegt, die eben auch eine Mimik fordert. Die Bösen sind dunkelhaarig, tätowiert, sie haben schlimme Frisuren und tragen billige Kleidung, Camouflage-Westen, Lederjacken oder ein Kleid im Leopardenmuster. Die Kunden von kik und lidl, die Subproletarier aller Länder können nicht anders, als den zwischen sie gefallenen blonden Engel im Kleingarten zu quälen und am Ende zu töten.
In dieser Perspektive ist die moralische Konsequenz des Films leider unerfreulich: Das Böse, mit all den anklingenden Tönen einer nationalsozialistischen Vergangenheit, wird nicht – wie bei den vermutlichen Vorbildern von Haneke oder Glasner – auf der Ich-Ebene des Helden gesucht oder gefunden, sondern in den fernen moralischen Sümpfen der Kleingartenidyllen, beim White Trash, der in einem in Einzelpunkten vergleichbaren Film wie Wintersbone einheitlich das Milieu für alle moralischen Valeurs abgibt. Das sind bei Tore tanzt aber ganz klar „die Anderen“, eine Welt, in die Tore durch einen dummen Zufall hineintanzt. Anders als etwa in den Kleinbürgerdramen und -komödien, die Regisseure wie Andreas Dresen so gerne erzählen, in denen schlechter Stil und Grillparties im Kleingarten sich mit menschlicher Wärme vertragen.
Der gute Bürger, dem das Opfer bei aller Schrägheit der Jesus-Freaks als vertretende Ich-Instanz angeboten wird, lehnt sich zurück und hat die Fiesen jenseits der eigenen Bekanntenkreise als fremde Antagonisten schnell identifiziert. Die Gewinner des kalkulierten Menschenopfers der Geschichte sind die Kinder der Bösen, die eine Freiheit gewinnen, die sie ohne Eindringen von Tore in ihre Welt nie geahnt hätten. Stark die Szenen einer Beziehungsanbahnung, die an der Keuschheit des Jesus-Freaks scheitern, wie die große Liebe an der Hartnäckigkeit, sie zu verfolgen.
Die Abrechnung mit den Gottlosen hat trotz des Versuchs, Tores Todestrieb als Folge seiner Verliebtheit zu erklären, bei mir einen schalen Nachgeschmack hinterlassen: Damit das Ganze funktioniert, der Gute ungetrübt gut bleiben kann, muss sich Benno, gespielt von Sascha Alexander Gersak, die Inkarnation des Bösen, den Tore als seine persönliche „Prüfung“ begreift, vom Wohltäter zum Todfeind wandeln. Naheliegend die Steigerungsformen: Er schlägt Tore aus Ärger, wie man bald erfährt auch aus Eifersucht, weil Benno seine Stieftochter regelmäßig missbraucht und verkauft Tore schließlich als Strichjungen, damit die Familie sich einen neuen Flatscreen leisten kann. Ein bisschen viel. Ein bisschen künstlich in seiner Dramaturgie, wie die Kapiteleinteilungen Glaube, Liebe, Hoffnung.
In diesem „Körperkino“ sind alle Beziehungen durchgängig sexualisiert und vollständig von der verheerenden paternalen Vorherrschaft geprägt. Sexualität taucht hier nicht als Option oder Horizont der Freiheit auf, sondern als Ware und Instrument der Unterdrückung. So weit, so wenig romantisch und stark. In der Konsequenz mischt sich allerdings am Schluss auch noch die schlecht gekleidete Nachbarin nach einer Trivial-Persuit-Spielrunde – Gesellschaftsspiele sind eben auch teuflische Vergnügungen – in die sadistische Folter des Unschuldigen. Als wollten sich die Alten, die Zombies in einer finalen Orgie am jungen Unschuldslamm für ihr Altern, für ihr untotes Dasein rächen. Grundsätzlich auch das ein interessantes Motiv. Aber alles zusammen ein bisschen dicke, zu sehr dann doch auf drallen Effekt, Furcht und Mitleid gesetzt, damit am Schluss ein sauberes quid pro quo in die jeweiligen Waagschalen des jüngsten Gerichts geworfen werden kann. Das Kopfkino, das der Film über weite Strecken trotz aller Körperlichkeit wunderbar bedient, kommt da am Schluss etwas zu kurz. Trotzdem: Mal sehen, was da noch kommt.
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