Sonntag, 9. Februar 2014

Berlinale

-->
In den folgenden Tagen werde ich hier Kurzzusammenfassungen der Filme geben, die ich mir angesehen habe. Hier die ersten von Freitag und Samstag:

Rachid Bouchareb: La voie de l’ennemie

Interessantes Thema: Ein nach dem Mord an einem Polizisten nach 18 Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassener, der inzwischen zum Islam konvertiert ist, schafft es nicht, ein neues Leben anzufangen, weil ein reaktionärer Sheriff (Harvey Keitel), der ihm den Mord am Kollegen nicht verzeiht,  und sein Kumpel aus Gangsterzeiten (Luis Guzman) das verhindern wollen. Die Handlung ist sehr linear: Von Anfang an hängt das drohende Unglück über Forest Whitacker und man zweifelt nicht wirklich an dessen Erfüllung. Unbedfriedigend ist diese Entwicklung, weil die Geschichte um das neue Leben mit Dolores Heredia zu andeutungsweise skizziert ist, fast als sei dem Regisseur die einfach angebahnte Liebesgeschichte nicht geheuer gewesen. Zwischendurch gehen Figur und Geschichte dann völlig verloren. Emotionale Nähe wird mehr behauptet als gezeigt. Der Film krankt aber auch daran, dass die Akteure mit den Unausgewogenheiten des Buchs sehr unterschiedlich umgehen. Harvey Keitel und die Bewährungshelferin Brenda Blethyn streiten sich handfest und überzeugend um den Exhäftling weil hier auch der Konflikt mehr bietet als nur Erfüllungsgehilfe eines prädestinierten Ausgangs zu sein. Da sieht man gerne zu und verschmerzt die Szenen, in denen der Sheriff um ein unbekanntes totes Kind weint und die Bewährungshelferin eher unmotiviert in den Sand tritt. Aber dem ehemaligen Sträfling bleibt nichts übrig, als die Emotionen, die ihn immer wieder überwältigen, fast für die letzte Reihe zu spielen. Die Vorlage Two men in a town kenne ich nicht. Man kann aber vermuten, dass es eher ein unterkühlter Film war. Diese Temperatur der Darstellung fehlt hier. Es wird immer da, wo der Plot nicht reicht, auf Expressivität gesetzt. Es hätte diesem Film aber gutgetan, wenn er bei den guten Anlagen der Figuren versucht hätte, die inneren Konflikte facettenreicher zu gestalten, damit die Darsteller nichts externalisieren müssen, was in dieser Stärke nicht angelegt ist, sonst laufen sie seltsam leer in ihrer Aufgewühltheit, wo an manchen Stellen hätte stehen können: No acting required.

Überhaupt interessant, dass ein französischer Regisseur mit algerischen Wurzeln das Remake eines 70er Krimiwestern in New Mexico mit englischen, mexikanischen und amerikanischen Stars dreht. Eine Art "Global Pudding".



Edward Berger: Jack

Filme mit Kindern sind in Deutschland immer Problemfilme. Trotzdem ist "Jack" ein Beispiel, dass Problem und Humor sich nicht ausschließen müssen und insofern ein gelungener deutscher „Kinderfilm“, der das sozial schwere Thema in der Schwebe hält, auch dank eines tollen Kinderhauptdarstellers. Jack (9) lebt mit seiner allein erziehenden Mutter und dem Bruder (5) in Berlin. Aber die Mutter kümmert sich mehr um ihre Lover als die Kinder. Jack ist somit auch für den Bruder Haupterzieher und nimmt die Aufgabe ernst, wird aber wegen der Vernachlässigung der Mutter in ein Heim gesteckt. In den Sommerferien will er nach Hause, aber die Mutter ist mal wieder nicht da. So ziehen Jack und Manuel zwei Tage auf der vergeblichen Suche nach der Mutter durch Berlin, klauen, verlieren sich und treffen immer wieder vor der Tür der Wohnung ein. Als die Mutter wieder auftaucht, entschließt sich Jack, mit Manuel freiwillig ins Heim zu gehen. Diese Schlusswendung ist allerdings ein wenig problematisch. Nicht nur, weil ihr im Sinne der Fallhöhe im Vorfeld allzu sehr entgegengearbeitet wird, sondern auch, weil es kaum glaubhaft scheint, dass der Neunjährige so vorausschauend abgeklärt ist, dass er anhand der sparsamen Zeichen liest und versteht, dass seine Mutter nicht eine Sekunde an die Kinder gedacht hat. Zu viel wird getan, um die Mutter zu finden, endlich in die Wohnung zu gelangen, zu wenig Affront bietet die Wiederversöhnung der Familie, um diesen Schritt zu rechtfertigen, der an dieser Stelle als pädagogische Aussage, dass es besser wäre, solche Eltern zu verlassen, über die Glaubwürdigkeit der Emotionen der Kinder gestellt wird, die ansonsten mit äußersten Genauigkeit verfolgt werden. Aber das ist eine Kritik des fehlenden dramaturgischen Sahnehäubchens an einem Film, der über weite Strecken trotz der gewagten Anlage eines Films mit ausschließlich Kinderhauptdarstellern sehr überzeugt. Ein weiterer Abzug in der B-Note: Die Musik. Sie wäre vollständig entbehrlich gewesen und zeigt die Momente dramatischer innerer Bewegung mit einer Penetranz an, die der Banalität des musikalischen Motivs entspricht. Ein Moll-Akkord, Dominantsept, Streicher, gefühlt Mahler, aber eben überflüssig pathetisch und in gewisser Hinsicht auch zu pädagogisch: Sie lässt dem Zuschauer nicht die Freiheit, die ausdrucksstarken Momente selbst zu sehen und zu bewerten.


Yann Demange: 71

Tendenziell überflüssiger, aber spannender Film über einen zweifelhaften Einsatz der britischen Streitkräfte in Belfast 1971, bei dem ein britischer Soldat hinter die Linien gerät und dank Hilfe von Freund und Feind überlebt. An keiner Stelle wird der nordirische Konflikt überzeugend verstehbar, die Kriegssituation und das Überlebenwollen werden gesetzt und als dramaturgisches Spannungsfeld ausgebeutet. Die Rhetorik des Antikriegsfilms, der insgeheim den Ausnahmezustand bewundert, der Helden schafft, findet hier eine neue Auflage. Statt die generelle Sinnlosigkeit der Aktion zu beschreiben, die zum Verschwinden des Soldaten führt, wird ein klarer Schuldiger gefunden: Der allzu blauäugige und lasche Kommandant der Einheit, dem es an militärischer Schärfe fehlt. Es wäre stärker gewesen, wenn der Soldat seine Notlage selbst verschuldet hätte. Die Auflösung ist verworren und extrem zufällig. Aber immer spannend. Ich habe nicht gezählt, wie oft Private Hook dem Tod von der Schippe springt. Mindestens ein halbes Dutzend mal. Gefährliche Inflation.

Weil's noch nicht genug war, habe ich mir gestern Nacht im "Lichtblick" noch angesehen:


Matt Porterfield: I used to be darker


Habe ich letztes Jahr verpasst und auch im Kino. 

Der Titel ist mir im Film nicht untergekommen. Ansonsten schöne und dezent erzählte Familiengeschichte über ein in Trennung befindliches Musikerpaar und die adoleszente Tochter. Cousine Taryn aus Irland, die unangemeldet in diese Situation platzt, ungewollt schwanger ist und sich glatt ein Techtelmechtel mit dem neuen Lover der Mutter leisten würde. Die Auseinandersetzungen werden alle mit äußerstem Feingefühl in der Schwebe zwischen Tragik und Komik gehalten. Der Film bekommt dadurch eine Lebenswirklichkeit, die auch durch das offene Ende nicht beschädigt wird. Diverse Szenen mit überraschender Führung, viel Musik im On, keine Filmmusik, äußerst präzise eingesetzt. Zum Beispiel, wenn der Vater im Frust alte Freejazzplatten hört und vergessen hat, den Plattenspieler (!) auszustellen, während er auf einer Luftmatratze im Swimming-Pool liegt, oder die Szene, in der er noch mal alte Songs zur Gitarre singt und wegen der Textzeilen, die dazu gehören, am Ende mit zwei kurzen Hieben gegen einen Pfeiler die Gitarre zerschlägt. Alle Figuren haben ihr Eigenleben, wollen, wie der Schlusssong der Mutter sagt, „living honestly“ und tun das in der Extremsituation auch, ohne dass daraus dramatisch unnötig Kapital geschlagen würde. Dadurch sind auch die irrationalen Reaktionen der Teenager eingebettet in eine trotz aller Auseinanderbrüche warme Atmosphäre. Sehr schöner Film.

Keine Kommentare: