Die Jugend hatte schon immer ein Problem mit den Hilfsverben: Sie kann nichts oder will nicht, sie weiß nichts, obwohl sie sollte. Neulich wieder die Klage des Dozenten Haneke über die mangelnde Qualität des Schülermaterials, über Unwissenheit und Lernscheu. Beim Abfragen kanonischer Werke der eigenen Kunstgattung kam heraus, sie wissen nichts. Ich habe lieber nichts dazu gesagt – die Filme, die er nannte, habe ich zuletzt vor mehr als zwanzig Jahren gesehen, einige gar nicht. So traf das als Vorwurf mich, obwohl es Zwanzigjährige meinte. Die Verzweiflung war aber, trotz aller Floskelhaftigkeit der Vorwürfe, echt: Keiner kennt mehr, was mir Wert gewesen ist und ich als Grundlage meiner Arbeit ansehe.
Auch ich hoffe, dass mein Horizont geteilt wird, dass meine Geschmacksvorlieben Zustimmung bei anderen finden. Die Unsicherheit der Kommunikation scheint in der geteilten ästhetischen Wahrnehmung besonders überzeugend überwindbar. Aber es sind am Ende immer die Gleichaltrigen, die unsere Vorlieben teilen. Meine Begeisterung für Musik von Frank Zappa oder Ligeti haben meine Eltern schon deshalb nie verstanden, weil sie diese Musik bis heute nicht kennen. Das hat mich nicht davon abgehalten, klassische Musik zu hören. Diese Koexistenz kam mir immer als Gewinn gegenüber meinen Eltern vor, die erstaunt waren, was ich alles nicht kenne.
Meine Kinder sollen meine Interessen, die sich über die Jahre verändert haben, nicht teilen müssen. So viel zu den Hilfsverben. Die Kindergeneration macht das schon. Sie weiß, was sie weiß, so wie wir wissen, was wir wissen. Vielleicht wissen sie mehr, als wir, vielleicht weniger, jedenfalls anderes. Wir können das erst beurteilen, wenn wir nicht auf das Recht der Älteren pochen. Wenn es uns nicht gelingt, Begeisterung zu wecken für etwas, das von der Zeit an den Rand gedrängt worden ist, sind die Erscheinungen, die uns mal am Herzen lagen, vielleicht nicht Wert, weitergetragen zu werden. Wer kennt schon heute noch Friedrich de la Motte-Fouquet, den Arno Schmidt mal mit einer Monographie aus der Vergessenheit gezerrt hat, die ihrerseits inzwischen fast vergessen ist? Die Gewohnheiten, auf denen wir uns ausruhen, sind nicht deshalb besser, weil sie älter sind. Sie sind anders. Wenn sich dann die Geschmäcker einmal auf ihrer Irrfahrt kreuzen, ist es umso schöner.
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