Deutsch
und weiß: Aktuelle deutsche Spielfilme über den „schwarzen Kontinent“
Im
gleißenden spanischen Sonnenlicht liegen Touristen am Strand unter blauem
Himmel. Auf dem Meer glitzern die Wellenkämme in träger Dünung. Ab und zu stürzen
sich eine Frau oder ein Kind ins Wasser, die Kamera taucht mit ab, schwelgt in
den Farben des prallen Urlaubsidylls. Doch dann schiebt sich ein schäbiges Boot
ins Bild, randvoll beladen mit afrikanischen Flüchtlingen, die, halb
verdurstet, der stechenden Sonne seit Tagen schutzlos ausgeliefert sind. Einige
sind auf der Überfahrt ums Leben gekommen, andere sterben noch am Strand vor
den Augen der entsetzten Touristen. Die wenigen Überlebenden sehen sich gehetzt
um: angekommen in Europa und doch scheinbar ewig auf der Flucht.
Mit
solchen Bildern setzen zwei neue deutsche Filme auf die scharfen Kontraste von
Flüchtlingselend und Urlaubsüberfluss. Sören Voigts „Implosion“ (2011) und
Maggie Perens „Die Farbe des Ozeans“ (Kritik in dieser Ausgabe) schließen damit
an einen Trend zum Flüchtlingsfilm an, der schon in Erich Wagenhofers Melodram
„Black Brown White“ (2010) zwiespältig bedient wurde. Afrikanische Boat
People sind im deutschen Film momentan sozusagen gerade „in“; das gilt in
gewisser Weise auch für das Thema „Afrika“ generell. So gibt in Pia Marais’ „Im
Alter von Ellen“ ein Gepard beim Zwischenstopp in Afrika das Signal für den
Ausbruch im Leben der Protagonistin. „Schlafkrankheit“ von Ulrich Köhler spielt
zu großen Teilen unter Deutschen in Kamerun und führt dabei tief ins Herz der
Finsternis des Kolonialismus und seiner Widersprüche.
Spiegelbilder
eigener Bedürfnisse
Die
neuen Flüchtlingsfilme bleiben dabei nahe an der medialen Wirklichkeit von
Nachrichtensendungen, deren Ästhetik sie den kontrastscharf gezeichneten
opulenten Kinobildern von Urlaubsszenarien und flatternden Plastikfolien der
Flüchtlingscamps gegenüberstellen. Die Möglichkeiten einer ironischen Brechung,
etwa durch Film im Film wie in Aki Kaurismäkis „Le Havre“, werden ausgeschlagen.
Wahr sollen diese Geschichten sein und engagiert im Namen der Menschlichkeit.
Doch die Form der inhaltlichen Fokussierung führt – wie bei den
Nachrichtenschnipseln – zu einer problematischen Verkürzung der Ereignisse auf
Sensationswert und Betroffenheitsrituale. Die Geschichte um illegale
Flüchtlinge ist in „Implosion“ wie auch bei „Die Farbe des Ozeans“ der raue
Hintergrund, vor dem die eher gewöhnlichen persönlichen Probleme deutscher
Paare und Familien globales Gewicht bekommen. Eine Reflexion über die
Verhältnisse findet dabei nur am Rande statt.
In
„Die Farbe des Ozeans“ wird die tragisch verlaufende Flucht des senegalesischen
Flüchtlings Zola aus dem Auffanglager als spannendes Drama inszeniert. Eine
zufällige Begegnung mit der deutschen Touristin Natalie ist folgenreich. Sie
beschließt, ihm die Flucht zu finanzieren. Der Hintergrund von Nathalies
„Helferleinsyndrom“ ist aber nur zum Teil der humanitäre Anspruch, dass man
Menschen in Not unterstützen soll. Nathalie sieht in dem für sich und seinen Sohn
leidenschaftlich kämpfenden Vater das Wunschbild eines besseren Partners. Auch
wenn die Anklänge dieser möglichen Liebesgeschichte nur äußerst dezent gesetzt
sind, erklärt dieser motivische Zusammenhang, warum die Figur des Flüchtlings
so schwach beleuchtet bleibt: Sie ist nur ein Spiegelbild der Wünsche der
deutschen Hauptdarstellerin. Folgerichtig bewirkt sein Tod am Ende eine neue
Innigkeit in der Beziehung des deutschen Paares.
Auch
in „Implosion“ erscheint die kongolesische Flüchtlingsfrau Djamile als eine Art
Fata Morgana der Hauptfigur. Der 16-jährige Thomas rebelliert gegen die neue
Beziehung seines Vaters, indem er Djamile vor der Polizei im Hotelzimmer
versteckt. Djamile ist nicht viel älter als Thomas, aber sexuell erfahren; sie
wurde als Prostituierte nach Spanien geschleust. Wundersamer Weise spricht sie
Deutsch und ordnet sich den Wünschen der jugendlichen Hauptfigur, den der
geheimnisvolle Flirt aus der Tristesse seiner zerbrechenden Kleinfamilie
erlösen soll, trotz ihrer akuten Probleme erstaunlich mühelos unter. Irgendwann
gerät darüber fast die Bedrohung der Abschiebung aus dem Blick; sie wird
schließlich von der Bedrohung durch die (schwarzen) Zuhälter überlagert, denen
Djamile mit Thomas’ Hilfe entfliehen kann. Am Ende trifft sie Thomas in
Deutschland wieder. Ein versöhnlicher Ausblick, der Thomas für erlittenes
familiäres Unrecht mit einer Liebe entlohnt, die sich über Grenzen hinwegsetzt.
Wie
in „Die Farbe des Ozeans“ ist auch in „Implosion“ die Erzählperspektive deutsch
und weiß; das Thema der illegalen Einwanderung fungiert primär als
abenteuerlicher Hintergrund für Thomas’ Protest gegen seine Familie – nicht
zufällig ist sein Vater Staatsanwalt. Projektionen und Wunschbilder sind
Bestandteil vieler Liebesgeschichten. Sie können das Objekt der Begierde so
überlagern, dass nur noch ein Zerrbild der realen Person zu erkennen ist. Das
im heiklen Umfeld des angezielten schwarz-weißen „Culture Clashs“ zu
thematisieren, wäre eine reizvolle Aufgabe. Doch stattdessen setzen die Filme
auf allzu klare Konfrontation gegensätzlicher Welten. Der Blick auf die Bilder
hinter den Blicken ist offensichtlich nicht erwünscht. Diese Zurückhaltung ist
zwar auch dem berechtigten Argwohn gegenüber parteiischen Sozialdramen
geschuldet, spiegelt zugleich aber die weitverbreitete Befindlichkeit eines
Landes wider, das sich für Probleme des Postkolonialismus nur sehr bedingt
verantwortlich fühlt. Deutschland ist eben kein Mittelmeeranrainerland.
Folgerichtig spielen alle deutschsprachigen Flüchtlingsdramen im Lieblingsurlaubsland
der Deutschen, Spanien.
Besonders
ärgerlich an der Weigerung, mit bekannten Klischees zu brechen, ist, dass die
legal in Spanien lebenden Afrikaner die eigentlichen Bösewichter der
moralischen Erzählung sind. In „Die Farbe des Ozeans“ verrät der
vermeintlich helfende Landsmann aus Geldgier den Flüchtling und verschuldet so
seinen Tod. Ein anderer Schwarzer tritt als Dealer auf. Selbst dem
rassistischen Guardia-Civil-Polizisten wird nach dem Tod einer Drogenabhängigen
eine Konversion gewährt; den in Spanien lebenden Afrikanern aber nicht. Damit
werden untergründig die landläufigen Vorstellungen vom kriminellen Ausländer
bedient, so als hätte Deutschland keine inzwischen 40-jährige Geschichte als
Einwandererland, in der eingewanderte Afrikaner und Deutsche mit afrikanischen
Wurzeln das Gemeinschaftsleben mitgeprägt haben.
„Weiße
fühlen sich, auch wenn sie sich großzügig geben, den Schwarzen überlegen. Es
ist so ekelhaft, wie mitfühlend Leute über Afrika reden“, hat Claire Denis
anlässlich ihres Afrika-Films „White Material“ zu Protokoll gegeben. Mitgefühl
mit den Gepeinigten dieser Erde ist denn auch die vorherrschende Haltung der
Hauptfiguren in „Implosion“ und „Die Farbe des Ozeans“. Allerdings ist die
humanitäre Geste, die das Gewissen erleichtert, nicht billig zu haben. Das
stellt auch Maggie Peren heraus: in diesem auf die Spitze getriebenen Fall um
den Preis eines Lebens.
Hoffnung
auf Migration
Die
Darstellung der Flüchtlinge als Ärmste der Armen ist nicht nur in vielen
Filmen, sondern schon in den Berichten der Nachrichtenmagazine oft herablassend
bis ignorant. Sie lässt aus, dass die reelle Armut vieler Länder in Afrika mit
den Spätfolgen der Kolonialisierung zusammen hängt, mit wirtschaftlichen
Abhängigkeiten, von denen die westlichen Unternehmen und einige Wenige vor Ort
profitieren. Auch wird gerne ausgeblendet, dass es ein afrikanisches „Prinzip
Hoffnung“ der Migration gibt, wie es beispielsweise „Espoir voyage“ (2011) von
Michel K. Zongo belegt. In der Regel sind die Migranten, die ein Vermögen
zahlen, um nach Europa zu gelangen, die Hoffnungsträger größerer Familienclans.
Nach einer Studie des Entwicklungshilfeministeriums sind die Geldrückflüsse,
mit denen diese Migranten ihre Familien unterstützen, die sogenannten „remittances“,
für Afrika wichtiger und sinnvoller als die offizielle Entwicklungshilfe.
Während
der aktuellen Wirtschaftskrise ist der Ruf nach Abschottung der südlichen
Grenzen in Europa ständig lauter geworden. Das erklärt vielleicht auch die
Vielzahl europäischer Flüchtlingsfilme. In Toni Gatlifs Filmessay „Indignados“
(2012) driftet die Flüchtlingsfrau Betty zu den Thesen von Stéphane Hessel
durch die Mittelmeer-Anrainerstaaten. Nur bei den Protestbewegungen gegen die
neoliberale Wirtschaftspolitik fühlt sie sich kurzzeitig heimisch. Ein etwas
gewollter Kurzschluss zwischen Flüchtlingsgeschichte und dem Aufstand der
Arbeitslosen, aber eine klare Stellungnahme, wie sie aus Deutschland
bislang weder zu hören noch zu sehen war.
In
den klassischen Kolonialländern gibt es inzwischen eine reiche Tradition der
vielschichtigen Darstellung von Afrika-Flüchtlingen, schwarzen Einwanderern
oder deren Nachkommen; nicht nur in erfolgreichen Kinoproduktionen wie den
Filmen von Kaurismäki oder Oliver Nakaches „Ziemlich beste Freunde“, der
überzeugend gegen das bloße Mitgefühl die Freundschaft setzt. Eliane de Latours
„Les oiseaux du ciel“ (2005) erzählt von zwei befreundeten Liberianern, die
ohne Papiere von Spanien aus Europa erobern wollen. Ein Flüchtlingsfilm aus der
Perspektive der Flüchtlinge. Der eine wird erwischt und abgeschoben, kämpft in
seinem Heimatland Liberia für ein selbstständiges Afrika, gilt aber bei seiner
Familie als Loser, weil er es „nicht geschafft“ hat. Der andere kehrt als Held
nach Afrika zurück, obwohl er nach vielen gescheiterten ehrlichen Versuchen nur
durch Gaunereien in Europa reich geworden ist – ein Film aus afrikanischer Sicht.
„Moi et mon blanc“ des burkinischen Filmemachers Pierre Yameogo ist eine der
zahlreichen Darstellungen der europäisch-afrikanischen Intereferenzphänomene
aus afrikanischer Sicht. Aber er spielt eben zur Hälfte in Frankreich, nicht in
Deutschland.
Ein
Perspektivwechsel
„Schlafkrankheit“
ist der einzige neuere deutsche Film, der im zweiten Teil einen vergleichbaren
Perspektivwechsel wagt. Der schwarze Arzt Alex, der in Paris aufgewachsen ist,
kämpft bei seiner Afrika-Mission nicht nur verzweifelt um Anerkennung als
schwarzer Franzose. Er ist auch von den Lebensbedingungen in Kamerun komplett
überfordert, die ihm fremd und unheimlich sind. Als Schwarzer ist man
heutzutage eben selbst im Land der Vorfahren keineswegs zwangsläufig zuhause.
Die Gegenfigur in der schwarz-weißen Gemengelage, die der Film ausbreitet, ist
der zynische deutsche Postkolonialist Ebbo Velten, den seine Rassismen nicht
hindern, Land und Leute zu lieben und Seuchen zu bekämpfen – und gelegentlich
den Großwildjäger zu geben.
Diese
schillernde Figur führt die unterbewussten Konstellationen der ehemaligen
Kolonialmacht Deutschland schmerzhaft vor Augen, die die jüngsten deutschen
Filmversuche einer Annäherung an die Effekte der Globalisierung nur bedienen. Nur
weil es seit dem verlorenen ersten Weltkrieg keine direkten Protektorate mehr
gibt, ist jedoch der Einfluss deutscher Wirtschaft und die Beteiligung an
Hilfsorganisationen oder internationalen Geldgeberorganisationen keineswegs
geringer als der anderer europäischer Länder. Der wohlmeinende deutsche Gutmensch
auf Urlaub mag sich deshalb politisch korrekt und emotional schlüssig verhalten,
wenn er in Spanien einem Bootsflüchtling hilft. Und wenn der Flüchtling an der
Hilfeleistung stirbt, ist es auch richtig, die Hilfeleistung selbst zu
hinterfragen. Eine Stellungnahme zur Globalisierung, wie es in einer Kritik
hieß, ist das trotzdem nicht. Denn die Verlegung in das europäische Nirgendwo
eines Urlaubssetting bereinigt die Geschichte um das, was die Konfrontation mit
Immigrationsverhältnissen in Deutschland hätte zeigen können. Afrika ist nicht
nur im fernen Spanien, sondern auch in unserem Alltag stets präsent. Nur die
Spanischlehrerin in „Implosion“, die neue Freundin des Vaters, deutet überhaupt
an, dass es in Deutschland Migranten gibt. Schwarze Deutsche machen in diesen
Filmen ganz sicher keinen Urlaub in Spanien.
Man
kann keinem Film vorwerfen, dass er nicht das einlöst, was er sich nicht
vornimmt. Höchstens was er sich vornimmt oder, dass er nicht weit genug geht. So
verständlich das Mitgefühl für das „Flüchtlingselend“ ist: Filme, die sich der
Thematik nur auf der „Mitleidsschiene“ nähern, lassen mehr aus, als sie in
ihren schönen Bildern erzählen. Sie scheitern damit wie viele
Subsahara-Flüchtlinge schon an der Grenze der Festung Europa.
Marcus
Seibert
Dieser Artikel erschien in FILM-DIENST 10/2012 (10. Mai 2012), Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Redaktion
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen