Freitag, 25. November 2011
Gedrillte Träume - Inception
Selten habe ich im Film eine derart auf Linie der Computerspielästhetik gebrachte Dramaturgie wie in der Großproduktion INCEPTION gesehen. Dabei ist gegen die Verwendung solcher Schemata prinzipiell genau so wenig einzuwenden wie gegen die Anklänge von Juwelenraub- und Agentenfilm, die dieses kalte künstliche Gebäude einer Geschichte persönlicher Verwicklungen eigentlich mit Leben erfüllen sollen. Die unter diesem Diktat entstehende Bildwelt fällt jedoch weit hinter die der Träume zurück, die der Film seit den Filmexperimenten der Surrealisten geträumt hat. Nolans Traumwelt ist von exakt der gleichen Logik erfüllt, wie die Wachwelt seiner militanten Helden. Traumarchitekt heißt in dieser Welt in erster Linie Architekt. Die Bauten sehen wie Bauten des normalen Lebens aus, ob sie digital aufgebrochen, um 90 Grad gedreht, komplett animiert oder nur künstlich verlängert sind. Die Bildwelt suggeriert: Traumbilder gleichen Bildern der Wirklichkeit, wenn sie die Nachbearbeitung der special-effects-Abteilung durchlaufen haben. Nur in wenigen Momenten des Films, der wegbrechenden Küstenlandschaft aus verfallenen Häusern oder dem Intro des Films nutzt der Film die technischen Möglichkeiten der digitalen Revolution im Sinne eines Zugewinns an Bildlichkeit gegenüber den Leihgaben aus unserer Erfahrungswelt. Den Sinn dieser enttäuschenden Selbstbeschränkung begreift man, wenn man das komplizierte Ebenensystem als das auffasst, was es wohl in erster Linie darstellen soll: Die Spielebenen eines Adventure-Computerspiels. Sauber werden hier Teilnehmergruppen getrennt, die in der Lage sind oder eben nicht, eine Ebene weiterzuträumen. Nur die verstorbene Frau des Protagonisten ist eine ungebundene Figur, die als immer störendere animierte Störfigur, als im Traum mordendes Monster auftritt, das personifizierte game over, verlockend, mit verstörend präzisen Wasserwellen, eine Stepford-Spielart der bösen mittelalterlichen Frau Welt. Die filmische Illustration der Angst vor Weiblichkeit vermeidet jedoch in ermüdender Prüderie jede noch so kleine Andeutung erotischer Phantasien, alles Exzessive des Traumgeschehens, mit dem sich Freud und Nachfolger seit nun über einem Jahrhundert beschäftigt haben. Nicht mal aus der Attraktion der zweiten Frau im Film werden Funken für das Traumgeschehen geschlagen. Geblieben ist nur das Lied von Edith Piaf "je ne regrette rien". Als ob es hier etwas zu bedauern gäbe außer den üblichen verdächtigen dramaturgischen Kniffs: Die Uhr tickt, man schafft es gerade noch in der letzten Sekunde den "Kick" zu setzen, die Ebenen zu wechseln, die Energie geht fast verloren, in letzter Sekunde rettet der sachgerechte Einsatz einer Handgranate. Alles, um nicht in den Limbus abzusinken, die Vorhölle dieser Reißbrett-Traumkonstruktion, aus der keine Rückkehr möglich scheint. Vielleicht wäre in diesem theologischen Off, in dem sich die Seelen für den Gang zur Hölle oder zum Paradies prädestinieren, getreu konservativer Doktrin mehr zu erwarten als die Abarbeitung der Tötung anonymer Gegner. Es bleibt dem Zuschauer jedoch versagt. Selbst das Paradies ist mindestens aus zweiter Hand das eines amerikanischen Mittelklassefamilienvater: Vorortvilla, Garten und zwei Kindern, Junge und Mädchen, die liebende Ehefrau im Hintergrund. Es fehlt nur die Andeutung des Chevrolets in der Garage. Traumarbeit ist das nicht. Sie müsste sich fragen, warum der routinierten Massenhinrichtung der "Projektionen" auf den diversen Ebenen keinerlei Trauma aktueller Kriegsschauplätze zugrunde liegt und das bedrohlich Erotische, Weibliche nur am Rand des Geschehens und sonst in den Kerker des Unterbewussten weggeschlossen präsentiert wird, den noch nicht einmal der Traum erreicht. Da unterschreitet der Film seine Möglichkeiten ohne Not und lässt zumindest mich dadurch völlig kalt. Er hat mich am ehesten noch geärgert. Denn was hier geträumt wird, sind Heldenträume einer Zuschauerschaft im Zeitalter der vollständigen Mobilisierung. Nur weiß man noch nicht so recht, wogegen sich der herbeigeträumte Krieg richten wird. Gegen Asien? Gegen das Wirtschaftskapital? Ein Anfang aber scheint gemacht.
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1 Kommentar:
Hallo Marcus,
das sehe ich ähnlich:
http://parallelfilm.blogspot.com/2010/12/mindfuck.html
c
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