Freitag, 8. Juli 2011

Eine flexible Frau

Die Aussagen, die in diesem Film auch alle "gesagt" werden, sind alle stimmig und interessant. Dienstleistung als Falle der Emanzipation, die Rückständigkeit des scheinbar modernen Mutterbildes in Deutschland, die Härte einer Arbeitswelt, in der eine vierzigjährige Arbeitslose schwer vermittelbar ist. Doch diese Stimmigkeit wird immer wieder bedroht von Entscheidungen der Umsetzung. Die Figuren bleiben Figuren, wirken vielfach nicht erfüllt mit dem, was sie transportieren sollen, sondern besetzt mit Emblemen, Motiven, Aussagen. Die schwulen Tänzer sind ganz schwul, die jungen Mütter ganz egozentrisch und paranoid, die Callcenterchefin ganz kalt und seelenlos, der Stadtführer ganz ein theoretischer Feminist. Diese Gänze, diese Lückenlosigkeit in den Figuren, macht sie vielfach zu uninteressanteren Marionetten der Regie.

Auch die Hauptfigur ist besetzt damit, Architektin zu sein. Aber kein einziger Satz, keine Geste, kein Kleidungsstück zeigt uns, dass sie das nicht nur nach dem Willen des Drehbuchs ist. Emblematisch die Orte Callcenter und Bewerbungstrainingsagentur. In den letzten Jahren waren das die Fetische: von Muxmäuschenstill, Science Fiction, Falscher Bekenner, Selbstgespräche bis Slumdog Millionaire. Der junge Film zeigt das Callcenter als Ort der Entpersonalisierung einer von der Dienstleistungsgesellschaft in Sklaverei genommenen unteren Mittelschicht. Zurecht, aber eben bei vielen dieser Filme und auch in diesem: zu deutlich. Die Stellvertreter von Metatext sind da genießbar, wo die Darstellung in Trash übergeht. Die alkoholsüchtige Arbeitsamtsberaterin, die schließlich aus der Hand ein dunkles Schicksal liest zum Beispiel. Die Grundschullehrerin - die allerdings in ihrer Diktion reichlich amateurhaft rüberkommt. Die Theaterschauspielerin im Biergarten, die mal eben Hölderlin zitiert, als stünde der Selbstmord der Hauptfigur dramaturgisch bevor.

Die erlösende Brechung der für etwas stehenden Figuren erfolgt durch Überdrehung, Überdehnung, nicht durch Vervollständigung mit Widersprüchen. An Einfällen in diese Richtung ist der Film reich, fängt sie aber immer wieder auf in eher realistischen Momenten, die die Hauptfigur, einmal von allem Metatext entblößt, als überforderte und dem Alkohol zugewandte Mutter eines zwölfjährigen Kindes zeigen, der ihr Scheitern in Beruf und Beziehung nicht erträgt.

Man kann gespannt sein, was da noch kommt.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Denke, ich verstehe das Problem, obwohl ich den Film noch nicht gesehen habe. So in etwa habe ich den Vibe des Trailers empfunden, der ein wenig in die "Axolotl Roadkill"-Kerbe eines aussageschwachen Kaputt-Styles haute.
Man kann schon einmal 10+ Jahre zurückdenken, zum Beispiel an englische oder französische Werke, zum Beispiel an die Stärke eines Filmes wie "Baise-moi", der als lupenreines Sozialdrama anfängt und dann amerikanoid durchdreht, durchaus nicht immer stilsicher. Aber der Mut zum dramaturgischen Bruch und zur Provokation auf ALLEN Ebenen (nicht bloß auf der sexuellen, wo die meisten Schlachten schon geschlagen sind), ist etwas, das deutschen RegisseurInnen gut anstehen würde.

subtext hat gesagt…

Diesen Mut hat die Filmemacherin definitiv. Und das ist auch das Faszinierende an dem Film. Ich glaube nur, dass die Aufladung der Figuren mit Statements, die sie zu Botschaftern von Botschaften macht, ihre Grenzen hat. Es wirkt ein wenig so, als hätte sich Tatjana Turanski zu klaren Aussagen mehr verpflichtet als innerlich hingezogen gefühlt. Aber wie gesagt: Ein erster Langfilm. Ich bin gespannt, was da noch kommt.