Es gibt in der Familie meiner Mutter eine Neigung, Memoiren zu schreiben. Überliefert sind nicht nur die Memoiren meines Urgroßvaters, der in trockenen Worten sein Leben als Landpfarrer beschrieben hat und Gemeindequerelen vor dem Leser ausbreitet, die heute weder nachvollziehbar noch besonders interessant sind. Mein Großvater hat die Memoirenschreiberei auf das Kapitel seines Lebens beschränkt, in dem er Pfarrer der bekennenden Kirche in Fehrbellin war. Diese Memoiren sind nicht viel mehr als zehn Seiten schwer und fassen knapp und in einer Manier, die an Herbert Wehners Erinnerungen erinnert, die wichtigen Momente dieser politischen Phase seines Lebens in exakter Chronologie zusammen.
Meine Tante hat Memoiren zu ihrer Kindheit als Tochter dieses Pfarrers geschrieben, sowie einen zweiten Band, der sich mit ihrem Werdegang als bildende Künstlerin befasst. So spannend der erste Band zu lesen ist, so wenig packt der zweite, weil man hier vor allem ein Gefühl nicht los wird, das schnell die Lektüre von Memoiren begleitet, sobald sie das Fahrwasser gesellschaftlich relevanter Themenbereiche verlassen, dass hier nämlich jemand sich ernster nimmt, als es noch witzig ist.
Sub specie aeternitatis ist ohnehin das Wenigste wert festgehalten zu werden. Außerhalb des Moments, in dem sich ein Leben abspielt, hat die spätere Erinnerung daran vielleicht dynastischen Wert, vielleicht Unterhaltungs- oder Lehrwert. Dann aber stellt sich bereits die Frage der Formung. Die in Memoiren festgehaltenen Erinnerungen an erlebte Ereignisse sind an sich nicht interessant und niedergelegt nur, sofern die Leserschaft sich ihnen geneigt zeigt, selbst wenn der Mensch, der die Ereignisse erlitt, das anders sieht. Das Bedürfnis Memoiren zu schreiben speist sich vermutlich aus dem Wunsch, nicht alles dem Vergessen zu überantworten, was man selbst einmal wichtig gefunden hat.
In gewisser Hinsicht ist das vermutlich grundsätzlich ein Impuls beim Veröffentlichen. Denn jede Form von Verschriftlichung ähnelt der fotografischen oder filmischen Aufnahme darin, dass es Vergangenes festhält, an Abgelebtes erinnert, auch wenn es erst gestern war. Selbst die Erfindung einer Erinnerung berührt die Leser nur, wenn sie zumindest erfolgreich mit Echtheit kokettiert. Unter jeder Überhöhung liest der Leser das heraus, was er an Bezüglichem lesen will. Das Erzähltempus ist nicht zufällig Präteritum, selbst das Präsens erzählter Texte ist immer schon ein verblasstes, vergangenes. Ein gedruckter oder zum Lesen bereit gestellter Text wurde immer vorher geschrieben.
Der Wunsch zu erinnern ist auch eine Form, Ordnung zu schaffen im eigenen Kopf und im günstigsten Fall auch für das so genannte kollektive Bewusstsein. Aber bei all dem Erinnerten und für die Ewigkeit Verwahrtem bleibt die Unwägbarkeit, was überdauert. Die Mumien sind mit ihrer Entdeckung bereits der Zersetzung schneller preis gegeben, als sie in den Jahrtausenden zuvor in ihren geschlossenen Sarkophagen waren. Texte sind ohnehin flüchtiger, sterben mit den Sprachen ab, wenn diese nicht mehr in dieser Form geläufig sind. Schon jetzt kann man beobachten, dass sich mancher Text aus dem zwanzigsten Jahrhundert nicht nur wegen der schlechten Papierqualität nach dem Krieg zersetzt hat und nicht mehr lesen lässt. Was geblieben ist, wird nicht unbedingt in den Formen aktualisiert, die sich der Autor seinerzeit gedacht hat. Eine Besonderheit der Erinnerung, die posthum zum Glück nicht schmerzt, aber auch zeigt, dass sie strikt gegenwartsbezogen ist.
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