Gestern ist Eric Rohmer kurz vor seinem neunzigsten Geburtstag gestorben. Schon vor fünf Jahren, als ich ihn interviewt habe, war er gebrechlich. Ein gebeugter alter Mann, der Mühe hatte zu laufen. Aber von klarem und unruhigen Verstand. Er sprach eruptiv, schnell und in langen Sequenzen, mit vielen Fülllauten, als könne er nicht erwarten, dass der nächste Satz möglichst bald kommt. Er saß an einem alten Schreibtisch zwischen Bücherstapeln und rutschte auf dem Stuhl hinundher. Das Quietschen war bei der Transkription mindestens so störend wie sein Gebiss, durch das die Wortkaskaden mehr genuschelt als gesprochen herauskamen.
Ausgerechnet gestern habe ich zusammen mit Franz Müller mein zweites Interview auf Französisch in Paris geführt. Im schicken Café Lutétia auf der kleineren der beiden Inseln. Agnes Jaoui und Jean-Pierre Bacri saßen uns gegenüber. Es war eine ähnliche Leidenschaft und Unruhe spürbar. Man sollte meinen, es macht einen großen Unterschied, ob die Gesprächspartner sich in einer Krise in der Mitte ihrer Karriere befinden, die ihnen schon einige Erfolge beschert hat oder ob sie, wie Rohmer seinerzeit, auf ein üppiges Lebenswerk zurückblicken können. Das war aber nicht der Fall. Rohmer, der sich hätte zurücklehnen können und sich im Glanz der eigenen Erfolge sonnen, war äußerst nervös, weil ich mit ihm über seinen Roman, den er mit 25 geschrieben hat, reden wollte. Ich wollte ihn davon überzeugen, den nicht als misslungen zu bewerten - wie er das jahrzehntelang getan hat - sondern als glückliche Vorstufe zu einigen seiner schönsten Filme.
Er hat mit diesem Buch, dessen Erstauflage er kurz nach Erscheinen 1947 selbst blockiert hat, jahrzehntelang gehadert. Erst vor zwei Jahren hat er die Neuauflage des Romans schließlich doch noch autorisiert. Mit einem Vorwort, das sich sehr an unser Gespräch anlehnt, was er mir gegenüber auch zugegeben hat. Aber er hat auch in dieser Zeit noch einmal einen Film gedreht und sich sehr darüber empört, dass die französische Filmförderung kein einziges seiner Projekte der letzten zwanzig Jahre gefördert hat, nur weil seine Arbeitsweise, die Tatsache, dass er ein fertiges und damit förderungswürdiges Drehbuch stets erst kurz vor den Dreharbeiten, jedenfalls deutlich nach Casting aller Rollen, abliefern konnte, den Kriterien der Förderung zuwider liefen.
Sein letzter Film mag nicht sein bester geworden sein. Trotzdem wünsche ich mir, auch für mich selbst, dass es mehr Filmemacher und Autoren gäbe, die eine solche Leidenschaft und intellektuelle Unruhe bewahren und im hohen Alter noch so wunderbare Filme drehen wie zum Beispiel "Conte d'autonne" oder der eigenwillige Kostümfilm "Le Duc et l'Anglaise."
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