Montag, 25. November 2013

Man muss es nur machen

Hier ein Gedächtnisprotokoll des letzten Freitag laufenden Kinderfilmsymposiums des Filmbüros NW "Alles Wickie oder was?"


Impulsreferat Horst Peter Koll. Er legt sich ins Zeug, emotionale Ansprache, eine Suche nach Visionen, Verbündeten. Keine Berührungsängste zum kommerziell agierenden Kino, auch nicht zu Literaturverfilmungen. Ein Plädoyer für den Kinderfilm in allen seinen Spielarten, für Sensibilität gegenüber Kindern und ihren Bedürfnissen, auch für schwierige Filme wie Kopfüber von Bernd Sahling. „Nehmt die Kinder ernst.“ Koll zitiert eine anrührende Passage aus Andreas Steinhövels Berlinale-Blog. Auch in seinem Witz und seiner Emphase ist das ein Vortrag, der die Tonart vorgeben müsste für die folgende Diskussion über den Kinderfilm.

Phillip Budweg, Produzent bei Lieblingsfilm unterbreitet die Produktionsbedingungen von so unterschiedlichen Filmen wie Wintertochter und Rubinrot. Wintertochter, Erstlingspitch einer jungen Drehbuchautorin beim Goldenen Spatz. Von Anfang an klar: Kein einfacher Stoff, kein einfacher Film. Lange Entwicklung, etwa zwei Millionen Budget für eine deutsch-polnische Koproduktion. Idee eines „Generationendramas“ – was vermutlich das eigentliche Problem dieses Films ist. Die Großelterngeneration, die noch den Krieg und Vertreibung erlebt hat, stirbt allmählich weg.

Zu den zwei Millionen Budget kamen lediglich 28.000 € Marketing-Gelder. Schleppender Vertrieb und keine Wiederaufnahme im Schulkontext. 30.000 Zuschauer. Arthouse, kein family entertainment, aber deutscher Kinderfilmpreis. Mein Eindruck: Ein nicht wirklich ausgegorener Film, der zwar auf eine poetische und optisch ansprechende Filmsprache setzt, die mein Sohn Julian mit acht Jahren nicht versteht, aber auf Humor zugunsten oft stereotyper emotionaler Wendungen verzichtet und ungut zwei Geschichten verquickt – zum Nachteil beider. Dass der Film auf amerikanischen Festivals gut ankam, liegt möglicherweise daran, dass er etwas über die DDR, den Krieg, das alte Deutschland erzählt, auf ein aktuelles Thema aufgepfropft. 

Rubinrot anders gelagert. Bestseller von Kerstin Gier, anvisiert: Mütter und Töchter gleichermaßen. Tele München Concorde haben das gleich an Twylight angebunden, als Nachfolgefilm. Budget über 6 Millionen, Werbeetat 1,5 Millionen. Kombination des Hypes um den zweiten und dritten Band – die bei der Entwicklung noch nicht vorlagen – der Trilogie, mit den Effekten einer gut finanzierten Marketingcampagne erbringen trotzdem nicht mehr als 482.000 Zuschauer. Allerdings obendrauf 80.000 DVDs. Dank Senderbeteiligung RTL ist jetzt der Nachfolgefilm finanzierbar.

Bettina Brokemper: Dann war ja im Verhältnis das Marketing zu Wintertochter erfolgreicher. Erklärungsversuche, warum der „kalkulierte Filmbestseller“ keiner geworden ist: FSK 12 hätte abgeschreckt (später wird es noch heißen: FSK ist ein Anreiz, die Grenze zu überschreiten – zehnjährige sehen am liebsten Filme „ab 12“, „ab 16“). Das Problem versucht Budweg anders zu fassen. Die Zielgruppe der Mädchen über 10 sei ein „scheues Reh“. Man will sich da nicht mit Mama zusammen im Kino wiederfinden. Der DVD-Verkauf spricht dafür, dass die Leserinnen des Buches auch den Film lieber zuhause sehen. Interessant, welche Wirkung die RTL-Ausstrahlung noch haben wird. Meine Diagnose: Die weibliche Hauptfigur ist überzeugend besetzt, aber der männliche Hauptdarsteller ist nicht der Typ, der wie Leonardo di Caprio die Frauen- und Mädchenherzen schmelzen lässt. Das gibt bei einem solchen Mainstream-Stoff klar Abzüge.

Wenka von Mikulicz von Bojebuck hat Hände weg von Mississippi vorgeschlagen und dramaturgisch betreut, jetzt Bibi und Tina. Sie benutzt Formulierungen wie „moderne Oberflächlichkeit“, sie liebt die einfachen Erzählstrukturen eines Films für die ganze Familie, die Möglichkeit mit einfachen und klaren Bösewichtern zu erzählen. Andererseits arbeitet sie sich an der Atmosphäre des Arthouseanspruchs ab, die im Plenum greifbar ist. Nicht unsympathisch in dem Bemühen, die eigenen Widersprüche zu formulieren, ohne sie wegzudrücken. Buck sei mit Hände weg von Mississippi zu seinen Ursprüngen zurückgekehrt, dem Film über das Landleben in Schleswig-Holstein. Dass zwischen diesem Film und Karniggels nicht nur Jahrzehnte sondern auch stilistisch Welten liegen (unter anderem darin, dass Mississippi intern vorav sämtlichen Erfolgskontrollen unterworfen worden ist und die Verfilmung eines erfolgreichen Kinderbuchs inklusive Hörbuch ist), ist auch so ein Widerspruch: Sie mag Bucks Filme offensichtlich, ob low budget Regionalkomödie oder Kommerzkinderkino. Bibi und Tina ist nun der Versuch, nicht an ein erfolgreiches Kinderbuch, sondern an eine „Marke“, eine erfolgreiche Trickfilm- und Hörbuchserie anzuknüpfen, Mädchen, Pferde, Zauberei. Kleine Miniatur über Herrn Blatz von Kiddinx, der Buch als Regisseur gar nicht kannte. Überzeugung und Klarheit der Definition der Figuren durch die Historie ist gleichzeitig Fluch und Segen: Man kann kaum damit erzählen, weil Tina „das so nicht sagen würde“, niemals etwas Böses tun würde, überhaupt Böse nie wirklich böse sind. Wenka, selbst bekennendes ehemaliges Pferdemädchen, weiß um die Beschränktheit der Bibi und Tina-Zeichentrickfilme. Aber ist das nicht auch eine Chance? Am Ende stellt sie, ein Gestus der Selbstverteidigung, die Frage, ob Kinder sich überhaupt Arthouse-Filme ansehen.

Die Antwort kommt im nächsten Panel und sofort: sie tun es. Meike Martens berichtet von der Premiere von Ednas Tag ein Dokumentarfilm von Bernd Sahling über ein Roma-Mädchen und seine Schwierigkeiten mit der Schule und die Schwierigkeiten der Schule mit ihr. Eine Mitdarsteller, der im dunklen Kinosaal gedisst wurde, ging nach heißer Diskussion im Anschluss an den Film auf die Bühne und bekam Szenenapplaus. Allgemein: Wenn die Kinder diese Filme zu sehen bekommen, beschäftigen sie sich intensiv damit. Frage allerdings: Wann bekommen sie die zu sehen? Ähnlich gelagert: Pommes essen von Tina von Traben, ausgesprochen witzig erzählte Schwesterngeschichte im Ruhrgebiet. Wer ihn sieht, ist begeistert, aber wer hat ihn schon gesehen? Es gibt viele Filme wie diesen, die ohne Senderbeteiligung zustande gekommen sind.

Warum ist es so, dass weder die Blockbuster des „familiy entertainment“ noch die preisgekrönten Thematisierungen von Lebensweltproblemen aus Deutschland kommen, sondern aus den Niederlanden, Frankreich, Kanada, Skandinavien? Gibt es Themen, die man im Kinderfilm nicht erzählen kann? Wenka von Mikulicz ist da sicher. Diverse! Selbstmord, Mobbing. Einwand: Das sind doch genau die Themen der Publikumserfolge aus den Niederlanden. In die Diskussion schaltet sich wieder Bettina Brokemper ein: Selbstmord, Tod, Trennung, das ist doch die Lebenswirklichkeit der Kinder. Warum hat man in Deutschland so viel Angst davor? Es muss doch nicht nur Filme mit Pferden, Bibis und Tinas geben, die nicht wehtun, aber auch die Kinder weichspülen. Ingrid Prassel: Es gibt bei Kindern keine Tabuthemen, eher bei den verantwortlichen Erwachsenen. Wenka von Mikulicz hakt nach. Sie will wissen, was denn die Jugendlichen umtreibt. Antwort: Sexualität, durchaus auch Fragen wie, woher komme ich (Wintertochter), aber keine pädagogische Aufbereitung, keine Überformung mit durchgängigem Leid und Hoffnungslosigkeit. Frage in die Runde: Kann es sein, dass es weniger auf die Themen ankommt, als auf bestimmte Erzählformen, die in Deutschland nur am Rand vorkommen. Stichwort: Humor, gerne auch kindgerecht. Das wird bejaht, natürlich von Tina von Traben, die das eben kann, ernste Themen witzig erzählen. „Der besondere Kinderfilm“ wird begrüßt, aber sowohl Phillip Budweg, als auch Meike Martens haben so ihre Zweifel, ob das für die Öffentlich-Rechtlichen nicht zur Ausrede für weiteres Engagement wird. Die Diskussion muss abgebrochen werden. Die Zeit ist um.

Dave Schramm, der beim letzten Panel schon vorne im Publikum gesessen hat, stellt sich und seine Amsterdamer Firma Shooting Star vor. Eine fast kindlich unbekümmerte und unaffektierte Selbstdarstellung eines Machers und Selfmademans, wie es sie ja nicht selten unter Produzenten gibt. Seit er 15 ist, dreht er Filme, hat sie bereits während des Studiums selbst produziert. Lange Entwicklung der Stoffe, kreative Marketing-Ideen bereits beim Casting, aufwendige Castings überhaupt. 4.000 Kinder wurden für seinen bislang letzten Film Spijt gecastet, jeder durfte mitmachen und auch die Verlierer wurden via Facebook in die Werbekampagne für den Film eingebunden. Und im Vorfeld der Premiere wurden 1.500 Lehrer – und nur Lehrer – zu Vorabscreenings eingeladen. Im Zuge der Premiere wird mit den Hauptdarstellern durch die Dörfer getingelt. Und das scheint eine große Party für alle zu sein. Seine Filme hatten zuletzt um die 400.000 Kinobesucher allein in den Niederlanden. Pro Jahr werden in den Niederlanden 12 Kinofilme produziert (jeden Monat einer). Schramm steht in engem Kontakt zu den Kinobesitzern und schnürt Paketdeals direkt mit denen. Beeindruckende Bilanz aber auch beeindruckendes Arbeitspensum. Tenor: Man muss es nur machen.

Margit Albers stellt die Initiative Der besondere Kinderfilm vor. Seit der gestiegenen Aufmerksamkeit auf Kinderfilme ab etwa 2001 (Emil und die Detektive) und dem Erfolg von Wickie und die starken Männer (meist gesehener Kinofilm 2009) gibt es mehr Aufmerksamkeit auf den Kinderfilm/Familienfilm. Idee ist, eine feste Förderung von sechs Projekten hin zu zwei bis drei realisierten Filmen pro Jahr einzurichten. Angeschlossen: Akademie für Kindermedien. Erfolge: Wer küsst schon einen Leguan?, Wintertochter, Kopfüber wurde da auch entwickelt. Erfahrung: Sehr lange Finanzierungsphase, Probleme an Geld zu kommen, weil oftmals keine Senderbeteiligung und dann Probleme mit den Fördergeldern. Für erste Förderphase gab es beim Besonderen Kinderfilm 108 Einreichungen. Davon 80% „gestorbene Mütter“. Die Lektoren diagnostizieren: Viel zu viel düstere Stoffe in düsterer Erzählhaltung. Brigitta Mühlenbeck stimmt schnell in das Autorenbashing ein: Es gibt keine adäquaten Kinderstoffe. Deshalb nimmt man dann auch lieber Buchvorlagen. Da weiß man, was man hat. Sie bezweifelt, dass das Beharren auf Originalstoffen sinnvoll ist. Kurios, weil gerade ihr erfolgreichstes Modell – Shaun das Schaf – ein Originalstoff ist und dem Buchstoff Blaubär den Rang abgelaufen hat. Horst Peter Koll schaltet sich spät in die Diskussion ein, die inzwischen zu einem Schlagabtausch zwischen Albers/Mühlenbeck einerseits und Publikumsvertretern andererseits geworden ist: Er versteht die gegenseitigen Vorwürfe nicht. Es gibt jeden Tag einen Kinderfilm, man muss sich nur die Mühe machen, ihn zu sehen und bei den Kindern direkt zu bewerben. In gewisser Hinsicht zeigt diese Diskussion auch, wo wenn die Krux der deutschen Lage besteht: Es ist zu leicht, in gegenseitigen Schuldvorwürfen die eigene Verantwortung kleinzureden. Am Ende bleibt jedem eigentlich das überantwortet, was Dave Schramm auch in diesem Panel immer wieder wiederholt: Man muss es nur machen.

Samstag, 16. November 2013

Freitag, 15. November 2013

Vater, Mutter, Kind



Ab heute steht meine Erzählung "Vater, Mutter, Kind" als eine der sechs ersten "Singles" bei Amazon.de. Das Konzept ist einfach: kürzere Prosatexte, vergleichbar einer musikalischen Single, sollen einfach und für kleinen Preis zugänglich sein, in einer Zeit, in der eigentlich nur noch Literaturmagazine Erzählungen drucken. Wer weder Kindle noch iPad hat, kann sich kostenfrei Programme herunterladen, mit denen die Texte auch auf dem Rechner lesbar sind.

Ankündigungstext:
"Eine scheinbar perfekte Kleinfamilie. Doch den jungen Vater hat die Geburt des Kindes völlig aus der Bahn geworfen. Die Promotion will nicht fertig werden und Geld zu verdienen kann er sich auch nicht vorstellen. Gerade hat er sich damit arrangiert, das Kind zu versorgen, während seine Frau die Familie ernährt, da wartet die nächste böse Überraschung auf ihn. Sie will sich von ihm trennen. Er verliert dabei alles, an dem er sich festgehalten hat, auch das Kind. Warum soll man da noch weiterleben? Das Bedürfnis, sich zu rächen und einmal im Leben etwas zu Ende zu führen, bringt ihn auf eine furchtbare Idee."

In nächster Zeit werden weitere Texte folgen. Wer nicht benachrichtigt werden will, bitte kurz zurückmelden. Gerne auch weiterleiten.

www.amazon.de/Vater-Mutter-Kind-Kindle-Single-ebook/dp/B00GFMMTDS

Montag, 14. Oktober 2013

Ein Festival feiert sich selbst

Es gibt Festivals, deren Rahmen ist klar vorgegeben, die Ausrichtung der präsentierten Filme ist deckungsgleich mit den daraufhin vergebenen Preisen, eine Stellungnahme innerhalb der Branche. Es gibt Festivals, bei denen man sich noch nach der Abschlussveranstaltung fragt, woran man eigentlich teilgenommen hat. Die Cologne Conferences waren mal eine Art Leistungsshow der Fernsehserienproduktion. Man konnte erste Folgen neuer Serien, zum Beispiel von HBO sehen, die erst später im Fernsehen liefen, konnte sich einrichten auf "Trends", denen die Veranstaltung in erster Linie ja gewidmet sein soll. Inzwischen ist zu diesen Veranstaltungen, die im Abschlussgeschehen und der Preisvergabe keinerlei Rolle mehr spielen, ein bunter Cocktail aus Panels zur Zukunft des Fernsehens und internationalen Erfrischungsdarbietungen dazugetreten. Ein wenig Kino, ein wenig Pop-Kultur, zwei Zeitschriften vergeben einen Preis und nur einer, der des Hollywood Reporter,  ausgerechnet an Sibel Kekili, die nicht an einer neuen, aber immerhin an einer internationalen Serie mitwirkt, spiegelte das wieder, was Substanz und Inhalt der CC war und sein könnte: Eine Bühne für das Seriengeschäft zu sein. Daneben aber gab es Auszeichnungen, die niemandem wehtun, aber auch niemanden meinen, die keine Linie erkennen lassen und kein bisschen Mut zum Risiko. Ich kann mich insofern nicht beschweren, als der erste "actors award" an Isabelle Huppert vergeben wurde und ich deshalb die Gelegenheit hatte, sie zu interviewen. Aber auch das hatte so seinen Haken: Alle Preisnamen sind auf Englisch, überhaupt ist alles auf Englisch und am Ende wurde sogar das Interview auf Englisch geführt, weil das Geld für einen Dolmetscher nicht vorgesehen war und das Publikum Englisch erwartete. Was aber hatte diese englische Veranstaltung mit Köln zu tun, was Isabelle Huppert? Sie wurde mit einer Laudatio bedacht, die vieles offen ließ, auch, was Anlass, Preis und Trägerin miteinander zu tun haben. Es wurde überhaupt nicht klar, warum diese Veranstaltung, die den Stadtnamen auf englisch im Wappen trägt, in Köln stattfindet, außer dem einen Grund, dass Köln sich gerne selbst feiert und der Filmstiftung deshalb die beste Bühne für ihre "Gala" abgibt. So jedenfalls war die Veranstaltung angekündigt, auf der man anschließend mit alten Freunden Bier trinken konnte. Die internationalen Gäste waren da längst zu einem separaten Abendessen entschwunden, wie es sich gehört.


Donnerstag, 18. Juli 2013

Curb your enthusiasm

Den Humorgrad bestimmt schon der Titel: Die Hauptfigur Larry David, gespielt von Larry David, eckt an und macht sich lächerlich, wo das nur möglich ist. Die dramatische Krise ist stets eine des größtmöglichen Fettnapfs. Der wird über das Prinzip der einfachen inversen oder variierenden Wiederholung einer Situation generiert.

Ein Beispiel: Larry David hat mit seiner „Erfolgsformel“ einen Kellner bestochen und so schneller einen Platz im Restaurant zu bekommen. Der Grund dieses Bestechungsversuchs: Seine Frau leidet an Dermatitis und am liebsten hätte sie schon vor dem Essen ein entsprechendes Medikament aufgetragen. Larry hat aber vergessen das Rezept einzulösen. Der Bestechungsversuch hat also eigentlich seinen Grund in einer Vergesslichkeit bezüglich des Rezepts – klassischer komischer Konflikt. Bei der Bestechung selbst schiebt Larry versehentlich dem Kellner nicht den zusammengefalteten 20-Dollar-Geldschein, sondern das Rezept für das Dermatitis-Präparat seiner Frau über den Tresen. Die Verwechslung, ebenfalls ein klassisches Komödienelement, fällt ihm auf, als er im Drugstore das Rezept nicht mehr findet. Im Restaurant hat der Kellner das Rezept nach Dienstschluss wütend in den Müll geschmissen, weil er nicht an Verwechslung glaubt, sondern annimmt, Larry hätte ihn absichtlich reingelegt. Nun kann sich Larry in diesem Restaurant nicht mehr blicken lassen – und das Medikament hat er auch nicht. Das Ende der Episode verschränkt Rezeptabholung und Bestechung in einer doppelten Wiederholung: Es ist auf Umwegen gelungen, ein zweites Rezept zu bekommen. Als Larry David damit spät abends erneut im Drugstore auftaucht und gebeten wird, eine Dreiviertelstunde zu warten – weil eine Schlange von Patienten vor ihm dran ist – versucht er es erneut mit seiner erst erfolgreichen Bestechungsformel und wird wegen des Versuchs allein aus dem Drugstore geworfen. Als Larry am Schluss der Folge niedergeschlagen die Treppe zum Schlafzimmer hinaufschlurft, hört man nur noch, wie seine Frau sich verzweifelt kratzt...

Auch der zweite Strang der Folge arbeitet mit einer ähnlichen Dramaturgie: Larry beleidigt den afroamerikanischen Hautarzt seines Freundes mit einem flapsigen und latent rassistischen Witz. Als er mit seiner Frau aus dem oben genannten Restaurant in ein anderes flieht, weil er seinen Ex-Chef nicht ansprechen will, der drei Tische weiter sitzt, begegnet er einer afroamerikanischen Aufnahmeleiterin, die ihm vorwirft, dass er sie vor Jahren aus rassistischen Gründen nicht eingestellt hat. Als das Rezept verloren geht, sieht sich Larry gezwungen den afroamerikanischen Hautarzt aufzusuchen, bei dem zuhause eine politische Versammlung stattfindet – bei der auch die Aufnahmeleiterin auftaucht und ihrer frischen Wut freien Lauf lässt, weshalb hier das Ersatzrezept dann doch nicht ausgestellt wird, sondern bei einem anderen Hautarzt. Kleiner Scherz am Schluss: Als Larry den Apotheker zu bestechen versucht, drängelt er sich ausgerechnet vor einen afroamerikanischen Patienten.

Das beim Zuschauer anvisierte Gelächter über den unbelehrbar rassistischen und egozentrischen Larry David, der zu Recht für mangelndes soziales Fingerspitzengefühl abgestraft wird, stellt sich erst durch die Wiederholung politisch unkorrekter Verhaltensweisen ein: Unbelehrbar zeigt sich erst, wer mindestens in einer zweiten Situation nicht adäquat reagiert. Die Minimalpaarbildung von je zwei Szenen mit vergleichbarem Verhalten und inversen Reaktionen oder der Koppelung von drei Szenen, deren dritte die Reaktionen der erste beiden in einen Zusammenstoß führt, sorgt für eine gewisse Erwartungshaltung der sich potenzierenden Katastrophe in der Wiederholung. Man ahnt sofort: Die Bestechung funktioniert bestenfalls einmal und auch da schon spürt die Hauptfigur das offenbar so stark, dass sie nach Erfolg unter einem Vorwand in ein anderes Restaurant flieht. Der zweite Versuch der Bestechung erfolgt anlässlich eines scheinbar wesentlich harmloseren Anlasses, der nächtlichen Medikament-Abholung. Dass die scheitert, ist die in der Mechanik dieses Humors logische Pointe der Folge.

Ein weiterer Mechanismus taucht immer wieder auf: Larrys egoistischen Interventionen richten sich in der Szenenwiederholung gegen ihn selbst. Larry besteht beim Arzt darauf, vor der Patientin behandelt zu werden, der er in der Praxis den Vortritt gelassen hat: Sein Termin war früher. Die Sprechstundenhilfe erklärt, das spiele nur bedingt eine Rolle, wer früher am Schalter ist, ist früher dran. Als Larry sich beim zweiten Wettlauf mit der gleichen Patientin vordrängelt, wird er wieder später behandelt: Man hat auf seine Forderung hin die Regel geändert, die Patientin hat einen früheren Termin als er. Da nützt es natürlich wenig, dass sich Larry beschwert, dass eine Patientin nun vor ihm dran ist, die offensichtlich zu spät zu ihrem Termin gekommen ist. Aber auch hier funktioniert die Pointe über eine schlichte Wiederholung. Während viele erzählten Witze und Märchenwendungen eine dreifache Staffelung brauchen, um in der ersten Wiederholung das Setting zu befestigen und in der zweiten Wiederholung erst eine Wendung zu erzählen und absurde Komik die Wiederholung des Scheiterns ins Endlose verlängert, reicht der realistischen Komik einer solchen Serie eine einzige Wiederholung zur Darstellung der chronischen Unbelehrbarkeit, zur Dämpfung des Enthusiasmus. Wiederholung ist hier zwar das Grundprinzip, wird aber möglichst unauffällig eingesetzt und möglichst nicht überstrapaziert.

Komik braucht Wiederholung. Wenn sie ein Reibungseffekt ist, muss sich etwas an etwas bereits Etabliertem reiben. Das kann der Widerspruch zu einem früheren Verhalten sein, eine unerwartete Reaktion. Jede unerwartete Reaktion setzt jedoch Erwartung voraus, die wiederum erst einmal hergestellt werden muss. Bei Larry David wird diese Erwartung unterschwellig und grundsätzlich in einer konfliktlastigen ersten Situation hergestellt, in der sich Larry bereits "unangemessen" verhält. Man rechnet mit dem dort etablierten Verhaltensmuster, was dann bestätigt oder enttäuscht werden kann.

Lebenslügen

Biopics, die Verfilmung der Biografie von Persönlichkeiten, gelten als sichere Bank in der Filmindustrie. Offiziell suchen Hollywood-Agenten nach Stoffen für Lebensbebilderung, weil das Erfolg verspricht. Ob autistischer Mathematiker, britischer König, Musiker, Autor oder Premierministerin, das Muster ist ähnlich. Besonders beliebt sind die Verfilmungen der Biografien von Literaten, Brecht, Thomas Mann, Virginia Woolf. Das fiktionale Biopic hält sich krampfhaft an die Maxime, dass hinter jedem besonderen Buch auch ein besonderer Mensch stecken muss. Die Identität von Kunst und Leben.

Besonders ärgerlich wird die Beleuchtung des Menschlichen, wenn Margaret Thatchers Liebes- und Beziehungsleben sowohl über die Darstellung einer selbstbestimmten Frau als auch über die Darstellung einer mit äußerster sozialer Brutalität entscheidenden Politikerin triumphiert. Zwar lässt sich dieser angestrebte Kuschelfaktor erst auf der Zeitebene grenzdementen Greisin erzielen, aber allein die dahinter erkennbare Absicht, Politik auf persönliche Befindlichkeiten herunterzubrechen und noch für die härtesten Einschnitte im britischen Sozialwesen, für den gnadenlosesten Wirtschaftsliberalismus eine menschelnde Erklärung zu finden, die Mitgefühl verlangt, zeigt, wohin das Biopic steuert: Hier werden zu beliebigen Figuren der Weltgeschichte Sockel gekleistert. Was in meiner Jugend Bücher leisteten, die über die Entdeckung des Tuberkel-Bazillus als persönliche Glanztat eines Einzelnen raunten, ist aufs Filmgenre übergegangen, das sich eh meist um Einzelgeschichten bemüht. Doch in jedem Episodenfilm, der auf dem Globus verteilte Ereignisse ursächlich zusammenzudenken versucht, steckt mehr geschichtliche Wahrheit und politische Kompetenz, als im gesamten Genre des Biopics, das prinzipiell die Leistung des Kollektivs nicht kennt und das Politische aufs rein Persönliche verdünnt.

Montag, 24. Juni 2013

Revolver Heft 28

Das neue Revolver-Heft ist da! Darin Interviews mit Lodge Kerrigan, Nadav Lapid, Roberto Perpignani, eine Glosse von Katrin Eissing und Manifeste von Lucrecia Martel, Matias Piñeiro, El Pampero Cine und James Benning.